From 45af1fd41fb301bab28fb7a4d7e6db34306c0020 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: XOR Date: Sun, 30 Oct 2022 21:03:06 +0100 Subject: [PATCH] Add creation of word list --- .gitignore | 4 + Aufgabe 1/Alice_im_Wunderland.txt | 3685 +++++++++++++++++++++++++++++ Aufgabe 1/main.c | 71 + Aufgabe 1/stoerung0.txt | 1 + Aufgabe 1/stoerung1.txt | 1 + Aufgabe 1/stoerung2.txt | 1 + Aufgabe 1/stoerung3.txt | 1 + Aufgabe 1/stoerung4.txt | 1 + Aufgabe 1/stoerung5.txt | 1 + Makefile | 25 + 10 files changed, 3791 insertions(+) create mode 100644 .gitignore create mode 100644 Aufgabe 1/Alice_im_Wunderland.txt create mode 100644 Aufgabe 1/main.c create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung0.txt create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung1.txt create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung2.txt create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung3.txt create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung4.txt create mode 100644 Aufgabe 1/stoerung5.txt create mode 100644 Makefile diff --git a/.gitignore b/.gitignore new file mode 100644 index 0000000..7d4aded --- /dev/null +++ b/.gitignore @@ -0,0 +1,4 @@ +.vscode/ +.fleet/ +*.out +debug.txt diff --git a/Aufgabe 1/Alice_im_Wunderland.txt b/Aufgabe 1/Alice_im_Wunderland.txt new file mode 100644 index 0000000..614c9d9 --- /dev/null +++ b/Aufgabe 1/Alice_im_Wunderland.txt @@ -0,0 +1,3685 @@ +Alice's Abenteuer + +im Wunderland + +von + +Lewis Carroll. + +Aus dem Englischen von Antonie Zimmermann. + + + + +Mit zweiundvierzig Illustrationen + +von + +John Tenniel. + +Autorisirte Ausgabe. + + +Leipzig + +Johann Friedrich Hartknoch. + +Originally published in 1869. + + + + + O schöner, goldner Nachmittag, + Wo Flut und Himmel lacht! + Von schwacher Kindeshand bewegt, + Die Ruder plätschern sacht -- + Das Steuer hält ein Kindesarm + Und lenket unsre Fahrt. + + So fuhren wir gemächlich hin + Auf träumerischen Wellen -- + Doch ach! die drei vereinten sich, + Den müden Freund zu quälen -- + Sie trieben ihn, sie drängten ihn, + Ein Mährchen zu erzählen. + + Die erste gab's Commandowort; + O schnell, o fange an! + Und mach' es so, die Zweite bat, + Daß man recht lachen kann! + Die Dritte ließ ihm keine Ruh + Mit wie? und wo? und wann? + + Jetzt lauschen sie vom Zauberland + Der wunderbaren Mähr'; + Mit Thier und Vogel sind sie bald + In freundlichem Verkehr, + Und fühlen sich so heimisch dort, + Als ob es Wahrheit wär'. -- + + Und jedes Mal, wenn Fantasie + Dem Freunde ganz versiegt: -- + »Das Uebrige ein ander Mal!« + O nein, sie leiden's nicht. + »»Es ist ja schon ein ander Mal!«« -- + So rufen sie vergnügt. + + So ward vom schönen Wunderland + Das Märchen ausgedacht, + So langsam Stück für Stück erzählt, + Beplaudert und belacht, + Und froh, als es zu Ende war, + Der Weg nach Haus gemacht. + + Alice! o nimm es freundlich an! + Leg' es mit güt'ger Hand + Zum Strauße, den Erinnerung + Aus Kindheitsträumen band, + Gleich welken Blüthen, mitgebracht + Aus liebem, fernen Land. + + + + +[Der Verfasser wünscht hiermit seine Anerkennung gegen die Uebersetzerin +auszusprechen, die einige eingestreute Parodien englischer Kinderlieder, +welche der deutschen Jugend unverständlich gewesen wären, durch +dergleichen von bekannten deutschen Gedichten ersetzt hat. Ebenso sind +für die oft unübersetzbaren englischen Wortspiele passende deutsche +eingeschoben worden, welche das Buch allein der Gewandtheit der +Uebersetzerin verdankt.] + + + + +Inhalt. + + +1. Hinunter in den Kaninchenbau 1 + +2. Der Thränenpfuhl 14 + +3. Caucus-Rennen, und was daraus wird 27 + +4. Die Wohnung des Kaninchens 39 + +5. Guter Rath von einer Raupe 55 + +6. Ferkel und Pfeffer 71 + +7. Die tolle Theegesellschaft 88 + +8. Das Croquetfeld der Königin 104 + +9. Die Geschichte der falschen Schildkröte 121 + +10. Das Hummerballet 137 + +11. Wer hat die Kuchen gestohlen? 150 + +12. Alice ist die Klügste 163 + + + + +[Illustration] + + + + +Erstes Kapitel + +Hinunter in den Kaninchenbau. + + +Alice fing an sich zu langweilen; sie saß schon lange bei ihrer +Schwester am Ufer und hatte nichts zu thun. Das Buch, das ihre Schwester +las, gefiel ihr nicht; denn es waren weder Bilder noch Gespräche darin. +»Und was nützen Bücher,« dachte Alice, »ohne Bilder und Gespräche?« + +Sie überlegte sich eben, (so gut es ging, denn sie war schläfrig und +dumm von der Hitze,) ob es der Mühe werth sei aufzustehen und +Gänseblümchen zu pflücken, um eine Kette damit zu machen, als plötzlich +ein weißes Kaninchen mit rothen Augen dicht an ihr vorbeirannte. + +Dies war grade nicht _sehr_ merkwürdig; Alice fand es auch nicht _sehr_ +außerordentlich, daß sie das Kaninchen sagen hörte: »O weh, o weh! Ich +werde zu spät kommen!« (Als sie es später wieder überlegte, fiel ihr +ein, daß sie sich darüber hätte wundern sollen, doch zur Zeit kam es ihr +Alles ganz natürlich vor.) Aber als das Kaninchen _seine Uhr aus der +Westentasche zog_, nach der Zeit sah und eilig fortlief, sprang Alice +auf; denn es war ihr doch noch nie vorgekommen, ein Kaninchen mit einer +Westentasche und eine Uhr darin zu sehen. Vor Neugierde brennend, rannte +sie ihm nach, über den Grasplatz, und kam noch zur rechten Zeit, um es +in ein großes Loch unter der Hecke schlüpfen zu sehen. + +Den nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, +ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte. + +Der Eingang zum Kaninchenbau lief erst geradeaus, wie ein Tunnel und +ging dann plötzlich abwärts; ehe Alice noch den Gedanken fassen konnte +sich schnell festzuhalten, fühlte sie schon, daß sie fiel, wie es +schien, in einen tiefen, tiefen Brunnen. + +Entweder mußte der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; +denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu +wundern, was nun wohl geschehen würde. Zuerst versuchte sie hinunter zu +sehen, um zu wissen wohin sie käme, aber es war zu dunkel etwas zu +erkennen. Da besah sie die Wände des Brunnens und bemerkte, daß sie mit +Küchenschränken und Bücherbrettern bedeckt waren; hier und da erblickte +sie Landkarten und Bilder, an Haken aufgehängt. Sie nahm im Vorbeifallen +von einem der Bretter ein Töpfchen mit der Aufschrift: »_Eingemachte +Apfelsinen_«, aber zu ihrem großen Verdruß war es leer. Sie wollte es +nicht fallen lassen, aus Furcht Jemand unter sich zu tödten; und es +gelang ihr, es in einen andern Schrank, an dem sie vorbeikam, zu +schieben. + +»Nun!« dachte Alice bei sich, »nach einem solchen Fall werde ich mir +nichts daraus machen, wenn ich die Treppe hinunter stolpere. Wie muthig +sie mich zu Haus finden werden! Ich würde nicht viel Redens machen, wenn +ich selbst von der Dachspitze hinunter fiele!« (Was sehr wahrscheinlich +war.) + +Hinunter, hinunter, hinunter! Wollte denn der Fall nie endigen? »Wie +viele Meilen ich wohl jetzt gefallen bin!« sagte sie laut. »Ich muß +ungefähr am Mittelpunkt der Erde sein. Laß sehen: das wären achthundert +und funfzig Meilen, glaube ich --« (denn ihr müßt wissen, Alice hatte +dergleichen in der Schule gelernt, und obgleich dies keine _sehr_ gute +Gelegenheit war, ihre Kenntnisse zu zeigen, da Niemand zum Zuhören da +war, so übte sie es sich doch dabei ein) -- »ja, das ist ungefähr die +Entfernung; aber zu welchem Länge- und Breitegrade ich wohl gekommen +sein mag?« (Alice hatte nicht den geringsten Begriff, was weder +Längegrad noch Breitegrad war; doch klangen ihr die Worte großartig und +nett zu sagen.) + +Bald fing sie wieder an. »Ob ich wohl ganz durch die Erde fallen werde! +Wie komisch das sein wird, bei den Leuten heraus zu kommen, die auf dem +Kopfe gehen! die Antipathien, glaube ich.« (Diesmal war es ihr ganz +lieb, daß Niemand zuhörte, denn das Wort klang ihr gar nicht recht.) +»Aber natürlich werde ich sie fragen müssen, wie das Land heißt. Bitte, +liebe Dame, ist dies Neu-Seeland oder Australien?« (Und sie versuchte +dabei zu knixen, -- denkt doch, knixen, wenn man durch die Luft fällt! +Könntet ihr das fertig kriegen?) »Aber sie werden mich für ein +unwissendes kleines Mädchen halten, wenn ich frage! Nein, es geht nicht +an zu fragen; vielleicht sehe ich es irgendwo angeschrieben.« + +Hinunter, hinunter, hinunter! Sie konnte nichts weiter thun, also fing +_Alice_ bald wieder zu sprechen an. »_Dinah_ wird mich gewiß heut Abend +recht suchen!« (_Dinah_ war die Katze.) »Ich hoffe, sie werden ihren Napf +Milch zur Theestunde nicht vergessen. _Dinah!_ Mies! ich wollte, du wärest +hier unten bei mir. Mir ist nur bange, es giebt keine Mäuse in der Luft; +aber du könntest einen Spatzen fangen; die wird es hier in der Luft wohl +geben, glaubst du nicht? Und Katzen fressen doch Spatzen?« Hier wurde +Alice etwas schläfrig und redete halb im Traum fort. »Fressen Katzen +gern Spatzen? Fressen Katzen gern Spatzen? Fressen Spatzen gern Katzen?« +Und da ihr Niemand zu antworten brauchte, so kam es gar nicht darauf +an, wie sie die Frage stellte. Sie fühlte, daß sie einschlief und hatte +eben angefangen zu träumen, sie gehe Hand in Hand mit _Dinah_ spazieren, +und frage sie ganz ernsthaft: »Nun, _Dinah_, sage die Wahrheit, hast du je +einen Spatzen gefressen?« da mit einem Male, plump! plump! kam sie auf +einen Haufen trocknes Laub und Reisig zu liegen, -- und der Fall war aus. + +Alice hatte sich gar nicht weh gethan. Sie sprang sogleich auf und sah +in die Höhe; aber es war dunkel über ihr. Vor ihr lag ein zweiter langer +Gang, und sie konnte noch eben das weiße Kaninchen darin entlang laufen +sehen. Es war kein Augenblick zu verlieren: fort rannte Alice wie der +Wind, und hörte es gerade noch sagen, als es um eine Ecke bog: »O, Ohren +und Schnurrbart, wie spät es ist!« Sie war dicht hinter ihm, aber als +sie um die Ecke bog, da war das Kaninchen nicht mehr zu sehen. Sie +befand sich in einem langen, niedrigen Corridor, der durch eine Reihe +Lampen erleuchtet war, die von der Decke herabhingen. + +Zu beiden Seiten des Corridors waren Thüren; aber sie waren alle +verschlossen. Alice versuchte jede Thür erst auf einer Seite, dann auf +der andern; endlich ging sie traurig in der Mitte entlang, überlegend, +wie sie je heraus kommen könnte. + +Plötzlich stand sie vor einem kleinen dreibeinigen Tische, _ganz von +dickem Glas_. Es war nichts darauf als ein winziges goldenes +Schlüsselchen, und _Alice's_ erster Gedanke war, dies möchte zu einer der +Thüren des Corridors gehören. Aber ach! entweder waren die Schlösser zu +groß, oder der Schlüssel war zu klein; kurz, er paßte zu keiner +einzigen. Jedoch, als sie das zweite Mal herum ging, kam sie an einen +niedrigen Vorhang, den sie vorher nicht bemerkt hatte, und dahinter war +eine Thür, ungefähr funfzehn Zoll hoch. Sie steckte das goldene +Schlüsselchen in's Schlüsselloch, und zu ihrer großen Freude paßte es. + +Alice schloß die Thür auf und fand, daß sie zu einem kleinen Gange +führte, nicht viel größer als ein Mäuseloch. Sie kniete nieder und sah +durch den Gang in den reizendsten Garten, den man sich denken kann. Wie +wünschte sie, aus dem dunkeln Corridor zu gelangen, und unter den bunten +Blumenbeeten und kühlen Springbrunnen umher zu wandern; aber sie konnte +kaum den Kopf durch den Eingang stecken. »Und wenn auch mein Kopf +hindurch ginge,« dachte die arme Alice, »was würde es nützen ohne die +Schultern. O, ich möchte mich zusammenschieben können wie ein Teleskop! +Das geht gewiß, wenn ich nur wüßte, wie man es anfängt.« Denn es war +kürzlich so viel Merkwürdiges mit ihr vorgegangen, daß Alice anfing zu +glauben, es sei fast nichts unmöglich. + +[Illustration] + +Es schien ihr ganz unnütz, länger bei der kleinen Thür zu warten. Daher +ging sie zum Tisch zurück, halb und halb hoffend, sie würde noch einen +Schlüssel darauf finden, oder jedenfalls ein Buch mit Anweisungen, wie +man sich als Teleskop zusammenschieben könne. Diesmal fand sie ein +Fläschchen darauf. »Das gewiß vorhin nicht hier stand,« sagte Alice; und +um den Hals des Fläschchens war ein Zettel gebunden, mit den Worten +»_Trinke mich!_« wunderschön in großen Buchstaben drauf gedruckt. + +[Illustration] + +Es war bald gesagt, »Trinke mich«, aber die altkluge kleine Alice wollte +sich damit nicht übereilen. »Nein, ich werde erst nachsehen,« sprach +sie, »ob ein Todtenkopf darauf ist oder nicht.« Denn sie hatte mehre +hübsche Geschichten gelesen von Kindern, die sich verbrannt hatten oder +sich von wilden Thieren hatten fressen lassen, und in andere unangenehme +Lagen gerathen waren, nur weil sie nicht an die Warnungen dachten, die +ihre Freunde ihnen gegeben hatten; zum Beispiel, daß ein rothglühendes +Eisen brennt, wenn man es anfaßt; und daß wenn man sich mit einem +Messer tief in den Finger schneidet, es gewöhnlich blutet. Und sie hatte +nicht vergessen, daß wenn man viel aus einer Flasche mit einem +Todtenkopf darauf trinkt, es einem unfehlbar schlecht bekommt. + +Diese Flasche jedoch hatte keinen Todtenkopf. Daher wagte Alice zu +kosten; und da es ihr gut schmeckte (es war eigentlich wie ein Gemisch +von Kirschkuchen, Sahnensauce, Ananas, Putenbraten, Naute und Armen +Rittern), so trank sie die Flasche aus. + + * * * * * + +»Was für ein komisches Gefühl!« sagte Alice. »Ich gehe gewiß zu wie ein +Teleskop.« + +Und so war es in der That: jetzt war sie nur noch zehn Zoll hoch, und +ihr Gesicht leuchtete bei dem Gedanken, daß sie nun die rechte Höhe +habe, um durch die kleine Thür in den schönen Garten zu gehen. Doch +erst wartete sie einige Minuten, ob sie noch mehr einschrumpfen werde. +Sie war einigermaßen ängstlich; »denn es könnte damit aufhören,« sagte +Alice zu sich selbst, »daß ich ganz ausginge, wie ein Licht. Mich +wundert, wie ich dann aussähe?« Und sie versuchte sich vorzustellen, wie +die Flamme von einem Lichte aussieht, wenn das Licht ausgeblasen ist; +aber sie konnte sich nicht erinnern, dies je gesehen zu haben. + +Nach einer Weile, als sie merkte daß weiter nichts geschah, beschloß +sie, gleich in den Garten zu gehen. Aber, arme Alice! als sie an die +Thür kam, hatte sie das goldene Schlüsselchen vergessen. Sie ging nach +dem Tische zurück, es zu holen, fand aber, daß sie es unmöglich +erreichen konnte. Sie sah es ganz deutlich durch das Glas, und sie gab +sich alle Mühe an einem der Tischfüße hinauf zu klettern, aber er war zu +glatt; und als sie sich ganz müde gearbeitet hatte, setzte sich das +arme, kleine Ding hin und weinte. + +»Still, was nützt es so zu weinen!« sagte Alice ganz böse zu sich +selbst; »ich rathe dir, den Augenblick aufzuhören!« Sie gab sich oft +sehr guten Rath (obgleich sie ihn selten befolgte), und manchmal schalt +sie sich selbst so strenge, daß sie sich zum Weinen brachte; und +einmal, erinnerte sie sich, hatte sie versucht sich eine Ohrfeige zu +geben, weil sie im Croquet betrogen hatte, als sie gegen sich selbst +spielte; denn dieses eigenthümliche Kind stellte sehr gern zwei Personen +vor. »Aber jetzt hilft es zu nichts,« dachte die arme Alice, »zu thun +als ob ich zwei verschiedene Personen wäre. Ach! es ist ja kaum genug +von mir übrig zu _einer_ anständigen Person!« + +Bald fiel ihr Auge auf eine kleine Glasbüchse, die unter dem Tische lag; +sie öffnete sie und fand einen sehr kleinen Kuchen darin, auf welchem +die Worte »_Iß mich!_« schön in kleinen Rosinen geschrieben standen. »Gut, +ich will ihn essen,« sagte Alice, »und wenn ich davon größer werde, so +kann ich den Schlüssel erreichen; wenn ich aber kleiner davon werde, so +kann ich unter der Thür durchkriechen. So, auf jeden Fall, gelange ich +in den Garten, -- es ist mir einerlei wie.« + +Sie aß ein Bißchen, und sagte neugierig zu sich selbst: »Aufwärts oder +abwärts?« Dabei hielt sie die Hand prüfend auf ihren Kopf und war ganz +erstaunt zu bemerken, daß sie dieselbe Größe behielt. Freilich geschieht +dies gewöhnlich, wenn man Kuchen ißt; aber Alice war schon so an +wunderbare Dinge gewöhnt, daß es ihr ganz langweilig schien, wenn das +Leben so natürlich fortging. + +Sie machte sich also daran, und verzehrte den Kuchen völlig. + + + + +Zweites Kapitel. + +Der Thränenpfuhl. + + +[Illustration] + +»Verquerer und verquerer!« rief Alice. (Sie war so überrascht, daß sie +im Augenblick ihre eigene _Sprache ganz vergaß_.) »Jetzt werde ich +auseinander geschoben wie das längste Teleskop das es je gab! Lebt wohl, +Füße!« (Denn als sie auf ihre Füße hinabsah, konnte sie sie kaum mehr zu +Gesicht bekommen, so weit fort waren sie schon.) »O meine armen Füßchen! +wer euch wohl nun Schuhe und Strümpfe anziehen wird, meine Besten? denn +ich kann es unmöglich thun! Ich bin viel zu weit ab, um mich mit euch +abzugeben! ihr müßt sehen, wie ihr fertig werdet. Aber gut muß ich zu +ihnen sein,« dachte Alice, »sonst gehen sie vielleicht nicht, wohin ich +gehen möchte. Laß mal sehen: ich will ihnen jeden Weihnachten ein Paar +neue Stiefel schenken.« + +Und sie dachte sich aus, wie sie das anfangen würde. »Sie müssen per +Fracht gehen,« dachte sie; »wie drollig es sein wird, seinen eignen +Füßen ein Geschenk zu schicken! und wie komisch die Adresse aussehen +wird! -- + + _An_ + _Alice's rechten Fuß, Wohlgeboren,_ + _Fußteppich,_ + _nicht weit vom Kamin,_ + _mit Alice's Grüßen_. + +»Oh, was für Unsinn ich schwatze!« + +Gerade in dem Augenblick stieß sie mit dem Kopf an die Decke: sie war in +der That über neun Fuß groß. Und sie nahm sogleich den kleinen goldenen +Schlüssel auf und rannte nach der Gartenthür. + +Arme Alice! das Höchste was sie thun konnte war, auf der Seite liegend, +mit einem Auge nach dem Garten hinunterzusehen; aber an Durchgehen war +weniger als je zu denken. Sie setzte sich hin und fing wieder an zu +weinen. + +»Du solltest dich schämen,« sagte Alice, »solch großes Mädchen« (da +hatte sie wohl recht) »noch so zu weinen! Höre gleich auf, sage ich +dir!« Aber sie weinte trotzdem fort, und vergoß Thränen eimerweise, bis +sich zuletzt ein großer Pfuhl um sie bildete, ungefähr vier Zoll tief +und den halben Corridor lang. + +Nach einem Weilchen hörte sie Schritte in der Entfernung und trocknete +schnell ihre Thränen, um zu sehen wer es sei. Es war das weiße +Kaninchen, das prachtvoll geputzt zurückkam, mit einem Paar weißen +Handschuhen in einer Hand und einen Fächer in der andern. Es trippelte +in großer Eile entlang vor sich hin redend: »Oh! die Herzogin, die +Herzogin! die wird mal außer sich sein, wenn ich sie warten lasse!« +Alice war so rathlos, daß sie Jeden um Hülfe angerufen hätte. Als das +Kaninchen daher in ihre Nähe kam, fing sie mit leiser, schüchterner +Stimme an: »Bitte, lieber Herr. --« Das Kaninchen fuhr zusammen, ließ +die weißen Handschuhe und den Fächer fallen und lief davon in die Nacht +hinein, so schnell es konnte. + +[Illustration] + +Alice nahm den Fächer und die Handschuhe auf, und da der Gang sehr heiß +war, fächelte sie sich, während sie so zu sich selbst sprach: +»Wunderbar! -- wie seltsam heute Alles ist! Und gestern war es ganz wie +gewöhnlich. Ob ich wohl in der Nacht umgewechselt worden bin? Laß mal +sehen: war ich dieselbe, als ich heute früh aufstand? Es kommt mir fast +vor, als hätte ich wie eine Veränderung in mir gefühlt. Aber wenn ich +nicht dieselbe bin, dann ist die Frage: wer in aller Welt bin ich? Ja, +das ist das Räthsel!« So ging sie in Gedanken alle Kinder ihres Alters +durch, die sie kannte, um zu sehen, ob sie in eins davon verwandelt +wäre. + +»Ich bin sicherlich nicht Ida,« sagte sie, »denn die trägt lange Locken, +und mein Haar ist gar nicht lockig; und bestimmt kann ich nicht Clara +sein, denn ich weiß eine ganze Menge, und sie, oh! sie weiß so sehr +wenig! Außerdem, sie ist sie selbst, und ich bin ich, und, o wie confus +es Alles ist! Ich will versuchen, ob ich noch Alles weiß, was ich sonst +wußte. Laß sehen: vier mal fünf ist zwölf, und vier mal sechs ist +dreizehn, und vier mal sieben ist -- o weh! auf die Art komme ich nie +bis zwanzig! Aber, das Einmaleins hat nicht so viel zu sagen; ich will +Geographie nehmen. London ist die Hauptstadt von Paris, und Paris ist +die Hauptstadt von Rom, und Rom -- nein, ich wette, das ist Alles +falsch! Ich muß in Clara verwandelt sein! Ich will doch einmal sehen, ob +ich sagen kann: »Bei einem Wirthe --« und sie faltete sie Hände, als ob +sie ihrer Lehrerin hersagte, und fing an; aber ihre Stimme klang rauh +und ungewohnt, und die Worte kamen nicht wie sonst: -- + + »Bei einem Wirthe, wunderwild, + Da war ich jüngst zu Gaste, + Ein Bienennest das war sein Schild + In einer braunen Tatze. + + Es war der grimme Zottelbär, + Bei dem ich eingekehret; + Mit süßem Honigseim hat er + Sich selber wohl genähret!« + +»Das kommt mir gar nicht richtig vor,« sagte die arme Alice, und Thränen +kamen ihr in die Augen, als sie weiter sprach: »Ich muß doch Clara sein, +und ich werde in dem alten kleinen Hause wohnen müssen, und beinah keine +Spielsachen zum Spielen haben, und ach! so viel zu lernen! Nein, das +habe ich mir vorgenommen: wenn ich Clara bin, will ich hier unten +bleiben! Es soll ihnen nichts helfen, wenn sie die Köpfe +zusammenstecken und herunter rufen: »Komm wieder herauf, Herzchen!« Ich +will nur hinauf sehen und sprechen: wer bin ich denn? Sagt mir das erst, +und dann, wenn ich die Person gern bin, will ich kommen; wo nicht, so +will ich hier unten bleiben, bis ich jemand Anderes bin. -- Aber o weh!« +schluchzte Alice plötzlich auf, »ich wünschte, sie sähen herunter! Es +ist mir so langweilig, hier ganz allein zu sein!« + +Als sie so sprach, sah sie auf ihre Hände hinab und bemerkte mit +Erstaunen, daß sie beim Reden einen von den weißen Glacee-Handschuhen +des Kaninchens angezogen hatte. »Wie habe ich das nur angefangen?« +dachte sie. »Ich muß wieder klein geworden sein.« Sie stand auf, ging +nach dem Tische, um sich daran zu messen, und fand, daß sie noch +ungefähr zwei Fuß hoch sei, dabei schrumpfte sie noch zusehends ein: sie +merkte bald, daß die Ursache davon der Fächer war, den sie hielt; sie +warf ihn schnell hin, noch zur rechten Zeit, sich vor gänzlichem +Verschwinden zu retten. + +»Das war glücklich davon gekommen!« sagte Alice, sehr erschrocken über +die plötzliche Veränderung, aber froh, daß sie noch existirte; »und nun +in den Garten!« und sie lief eilig nach der kleinen Thür: aber ach! die +kleine Thür war wieder verschlossen und das goldene Schlüsselchen lag +auf dem Glastische wie vorher. »Und es ist schlimmer als je,« dachte das +arme Kind, »denn so klein bin ich noch nie gewesen, nein, nie! Und ich +sage, es ist zu schlecht, ist es!« + +[Illustration] + +Wie sie diese Worte sprach, glitt sie aus, und den nächsten Augenblick, +platsch! fiel sie bis an's Kinn in Salzwasser. Ihr erster Gedanke war, +sie sei in die See gefallen, »und in dem Fall kann ich mit der Eisenbahn +zurückreisen,« sprach sie bei sich. (Alice war einmal in ihrem Leben an +der See gewesen und war zu dem allgemeinen Schluß gelangt, daß wo man +auch an's Seeufer kommt, man eine Anzahl Bademaschinen im Wasser +findet, Kinder, die den Sand mit hölzernen Spaten aufgraben, dann eine +Reihe Wohnhäuser und dahinter eine Eisenbahn-Station); doch merkte sie +bald, daß sie sich in dem Thränenpfuhl befand, den sie geweint hatte, +als sie neun Fuß hoch war. + +»Ich wünschte, ich hätte nicht so sehr geweint!« sagte Alice, als sie +umherschwamm und sich herauszuhelfen suchte; »jetzt werde ich wohl dafür +bestraft werden und in meinen eigenen Thränen ertrinken! Das _wird_ +sonderbar sein, das! Aber Alles ist heut so sonderbar.« + +In dem Augenblicke hörte sie nicht weit davon etwas in dem Pfuhle +plätschern, und sie schwamm danach, zu sehen was es sei: erst glaubte +sie, es müsse ein Wallroß oder ein Nilpferd sein; dann aber besann sie +sich, wie klein sie jetzt war, und merkte bald, daß es nur eine Maus +sei, die wie sie hineingefallen war. + +»Würde es wohl etwas nützen,« dachte Alice, »diese Maus anzureden? Alles +ist so wunderlich hier unten, daß ich glauben möchte, sie kann sprechen; +auf jeden Fall habe ich das Fragen umsonst.« Demnach fing sie an: »O +Maus, weißt du, wie man aus diesem Pfuhle gelangt, ich bin von dem +Herumschwimmen ganz müde, o Maus!« (Alice dachte, so würde eine Maus +richtig angeredet; sie hatte es zwar noch nie gethan, aber sie erinnerte +sich ganz gut, in ihres Bruders lateinischer Grammatik gelesen zu haben +»Eine Maus -- einer Maus -- einer Maus -- eine Maus -- o Maus!«) Die +Maus sah sie etwas neugierig an und schien ihr mit dem einen Auge zu +blinzeln, aber sie sagte nichts. + +»Vielleicht versteht sie nicht Englisch,« dachte Alice, »es ist +vielleicht eine französische Maus, die mit Wilhelm dem Eroberer herüber +gekommen ist« (denn, trotz ihrer Geschichtskenntiß hatte Alice keinen +ganz klaren Begriff, wie lange irgend ein Ereigniß her sei). Sie fing +also wieder an: »=Où est ma chatte?=« was der erste Satz in ihrem +französischen Conversationsbuche war. Die Maus sprang hoch auf aus dem +Wasser, und schien vor Angst am ganzen Leibe zu beben. »O, ich bitte um +Verzeihung!« rief Alice schnell, erschrocken, daß sie das arme Thier +verletzt habe. »Ich hatte ganz vergessen, daß Sie Katzen nicht mögen.« + +»Katzen nicht mögen!« schrie die Maus mit kreischender, wüthender +Stimme. »Würdest du Katzen mögen, wenn du an meiner Stelle wärest?« + +[Illustration] + +»Nein, wohl kaum,« sagte Alice in zuredendem Tone: »sei nicht mehr böse +darüber. Und doch möchte ich dir unsere Katze Dinah zeigen können. Ich +glaube, du würdest Geschmack für Katzen bekommen, wenn du sie nur sehen +könntest. Sie ist ein so liebes ruhiges Thier,« sprach Alice fort, halb +zu sich selbst, wie sie gemüthlich im Pfuhle daherschwamm; »sie sitzt +und spinnt so nett beim Feuer, leckt sich die Pfoten und wäscht sich das +Schnäuzchen -- und sie ist so hübsch weich auf dem Schoß zu haben -- und +sie ist solch famoser Mäusefänger -- oh, ich bitte um Verzeihung!« sagte +Alice wieder, denn diesmal sträubte sich das ganze Fell der armen Maus, +und Alice dachte, sie müßte sicherlich sehr beleidigt sein. »Wir wollen +nicht mehr davon reden, wenn du es nicht gern hast.« + +»Wir, wirklich!« entgegnete die Maus, die bis zur Schwanzspitze +zitterte. »Als ob ich je über solchen Gegenstand spräche! Unsere Familie +hat von jeher Katzen verabscheut: häßliche, niedrige, gemeine Dinger! +Laß mich ihren Namen nicht wieder hören!« + +»Nein, gewiß nicht!« sagte Alice, eifrig bemüht, einen andern Gegenstand +der Unterhaltung zu suchen. »Magst du -- magst du gern Hunde?« Die Maus +antwortete nicht, daher fuhr Alice eifrig fort: »Es wohnt ein so +reizender kleiner Hund nicht weit von unserm Hause. Den möchte ich dir +zeigen können! Ein kleiner klaräugiger Wachtelhund, weißt du, ach, mit +solch krausem braunen Fell! Und er apportirt Alles, was man ihm +hinwirft, und er kann aufrecht stehen und um sein Essen betteln, und so +viel Kunststücke -- ich kann mich kaum auf die Hälfte besinnen -- und er +gehört einem Amtmann, weißt du, und er sagt, er ist so nützlich, er ist +ihm hundert Pfund werth! Er sagt, er vertilgt alle Ratten und -- oh wie +dumm!« sagte Alice in reumüthigem Tone. »Ich fürchte, ich habe ihr +wieder weh gethan!« Denn die Maus schwamm so schnell sie konnte von ihr +fort und brachte den Pfuhl dadurch in förmliche Bewegung. + +Sie rief ihr daher zärtlich nach: »Liebes Mäuschen! Komm wieder zurück, +und wir wollen weder von Katzen noch von Hunden reden, wenn du sie nicht +gern hast!« Als die Maus das hörte, wandte sie sich um und schwamm +langsam zu ihr zurück; ihr Gesicht war ganz blaß (vor Aerger, dachte +Alice), und sie sagte mit leiser, zitternder Stimme: »Komm mit mir an's +Ufer, da will ich dir meine Geschichte erzählen; dann wirst du +begreifen, warum ich Katzen und Hunde nicht leiden kann.« + +Es war hohe Zeit sich fortzumachen; denn der Pfuhl begann von allerlei +Vögeln und Gethier zu wimmeln, die hinein gefallen waren: da war eine +Ente und ein Dodo, ein rother Papagei und ein junger Adler, und mehre +andere merkwürdige Geschöpfe. Alice führte sie an, und die ganze +Gesellschaft schwamm an's Ufer. + + + + +[Illustration] + + + + +Drittes Kapitel. + +Caucus-Rennen und was daraus wird. + + +Es war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande +versammelte -- die Vögel mit triefenden Federn, die übrigen Thiere mit +fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naß, verstimmt und +unbehaglich. -- + +Die erste Frage war, wie sie sich trocknen könnten: es wurde eine +Berathung darüber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice +ganz natürlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie +sie ihr ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange +Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und nur +noch sagte: »ich bin älter als du und muß es besser wissen;« dies wollte +Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der Papagei es +durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache unentschieden. + +Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu +sein schien: »Setzt euch, ihr Alle, und hört mir zu! ich will euch bald +genug trocken machen!« Alle setzten sich sogleich in einen großen Kreis +nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen erwartungsvoll auf +sie gerichtet, denn sie war überzeugt, sie werde sich entsetzlich +erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken würde. + +»Hm!« sagte die Maus mit wichtiger Miene, »seid ihr Alle so weit? Es ist +das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich +bitten darf! -- Wilhelm der Eroberer, dessen Ansprüche vom Papste +begünstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen +Anführer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und +Eroberungen gewöhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und +Northumbria --« + +»_Oooh_!« gähnte der Papagei und schüttelte sich. + +»Bitte um Verzeihung!« sprach die Maus mit gerunzelter Stirne, aber sehr +höflich; »bemerkten Sie etwas?« + +»Ich nicht!« erwiederte schnell der Papagei. + +»Es kam mir so vor,« sagte die Maus. -- »Ich fahre fort: Edwin und +Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria, erklärten sich für ihn; und +selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es +rathsam --« + +»Fand _was_?« unterbrach die Ente. + +»Fand _es_,« antwortete die Maus ziemlich aufgebracht: »du wirst doch wohl +wissen, was _es_ bedeutet.« + +»Ich weiß sehr wohl, was _es_ bedeutet, wenn _ich_ etwas finde«, sagte die +Ente: »_es_ ist gewöhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was +fand der Erzbischof?« + +Die Maus beachtete die Frage nicht, sondern fuhr hastig fort: -- »fand +es rathsam, von Edgar Atheling begleitet, Wilhelm entgegen zu gehen und +ihm die Krone anzubieten. Wilhelms Benehmen war zuerst gemäßigt, aber +die Unverschämtheit der Normannen -- wie steht's jetzt, Liebe?« fuhr sie +fort, sich an Alice wendend. + +»Noch ganz eben so naß,« sagte Alice schwermüthig; »es scheint mich gar +nicht trocken zu machen.« + +»In dem Fall,« sagte der Dodo feierlich, indem er sich erhob, »stelle +ich den Antrag, daß die Versammlung sich vertage und zur unmittelbaren +Anwendung von wirksameren Mitteln schreite.« + +»Sprich deutlich!« sagte der Adler. »Ich verstehe den Sinn von deinen +langen Wörtern nicht, und ich wette, du auch nicht!« Und der Adler +bückte sich, um ein Lächeln zu verbergen; einige der andern Vögel +kicherten hörbar. + +»Was sich sagen wollte,« sprach der Dodo in gereiztem Tone, »war, daß +das beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre.« + +»Was ist ein Caucus-Rennen?« sagte Alice, nicht daß ihr viel daran lag +es zu wissen; aber der Dodo hatte angehalten, als ob er eine Frage +erwarte, und Niemand anders schien aufgelegt zu reden. + +»Nun,« meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu +spielen.« (Und da ihr vielleicht das Spiel selbst einen +Winter-Nachmittag versuchen möchtet, so will ich erzählen, wie der Dodo +es anfing.) + +Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis (»es kommt nicht genau auf +die Form an,« sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und +da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein »eins, zwei drei, fort!« +gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten +auf wie es ihnen einfiel, so daß es nicht leicht zu entscheiden war, +wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde +gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plötzlich: »Das +Rennen ist aus!« und sie drängten sich um ihn, außer Athem, mit der +Frage: »Aber wer hat gewonnen?« + +Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten, +und er saß lange mit einem Finger an die Stirn gelegt (die Stellung, in +der ihr meistens Shakespeare in seinen Bildern seht), während die +Uebrigen schweigend auf ihn warteten. Endlich sprach der Dodo: »Jeder +hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben.« + +»Aber wer soll die Preise geben?« fragte ein ganzer Chor von Stimmen. + +»Versteht sich, sie!« sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend, +und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander +rufend: »Preise Preise!« + +Alice wußte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer +Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche und zog eine Schachtel +Zuckerplätzchen hervor (glücklicherweise war das Salzwasser nicht hinein +gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum, +eins für Jeden. + +»Aber sie selbst muß auch einen Preis bekommen, wißt ihr,« sagte die +Maus. + +»Versteht sich,« entgegnete der Dodo ernst. »Was hast du noch in der +Tasche?« fuhr er zu Alice gewandt fort. + +»Nur einen Fingerhut,« sagte Alice traurig. + +»Reiche ihn mir herüber,« versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich +wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich +überreichte, mit den Worten: »Wir bitten, Sie wollen uns gütigst mit der +Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren;« und als er diese kurze +Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen. + +[Illustration] + +Alice fand dies Alles höchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so +ernst aus, daß sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine +passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den +Fingerhut ganz ehrbar in Empfang. + +Nun mußten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig +Lärm und Verwirrung hervorrief; die großen Vögel nämlich beklagten sich, +daß sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich +und mußten auf den Rücken geklopft werden. Endlich war auch dies +vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das +Mäuslein, noch etwas zu erzählen. + +»Du hast mir deine Geschichte versprochen,« sagte Alice -- »und woher es +kommt, daß du K. und H. nicht leiden kannst,« fügte sie leise hinzu, um +nur das niedliche Thierchen nicht wieder böse zu machen. + +»Ach,« seufzte das Mäuslein, »ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch +nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu +tragisch.« Dabei sah sie Alice fragend an. + +»Langschwänzig! das muß wahr sein!« rief Alice und sah nun erst mit +rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; »aber +wie so tragisch? was trägst du denn?« Während sie noch darüber nachsann, +fing die langschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt: + + Filax sprach zu + der Maus, die + er traf + in dem + Haus: + »Geh' mit + mir vor + Gericht, + daß ich + dich + verklage. + Komm und + wehr' dich + nicht mehr; + ich muß + haben ein + Verhör, + denn ich + habe + nichts + zu thun + schon + zwei + Tage.« + Sprach die + Maus zum + Köter: + »Solch + Verhör, + lieber Herr, + ohne + Richter, + ohne + Zeugen + thut nicht + Noth.« + »Ich bin + Zeuge, + ich bin + Richter,« + sprach + er schlau + und schnitt + Gesichter, + »das Verhör + leite ich + und + verdamme + dich + zum + Tod!« + +»Du paßt nicht auf!« sagte die Maus strenge zu Alice. »Woran denkst du?« + +»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Alice sehr bescheiden: »du warst bis +zur fünften Biegung gekommen, glaube ich?« + +»Mit nichten!« sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich. + +»Nichten!« rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah +sich neugierig überall um. »O, wo sind sie, deine Nichten? Laß mich +gehen und sie her holen!« + +»Das werde ich schön bleiben lassen,« sagte die Maus, indem sie aufstand +und fortging. »Deinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhören!« + +»Ich meinte es nicht böse!« entschuldigte sich die arme Alice. »Aber du +bist so sehr empfindlich, du!« + +Das Mäuslein brummte nur als Antwort. + +»Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus!« rief Alice ihr +nach; und die Andern wiederholten im Chor: »ja bitte!« aber das Mäuschen +schüttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort. + +»Wie schade, daß es nicht bleiben wollte!« seufzte der Papagei, sobald +es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit +wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, »Ja, mein Kind! laß dir dies eine Lehre +sein, niemals _übler_ Laune zu sein!« »Halt den Mund, Mama!« sagte die +junge Unke, etwas naseweis. + +»Wahrhaftig, du würdest die Geduld einer Auster erschöpfen!« + +»Ich wünschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wünschte ich!« sagte +Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. »Sie würde sie bald +zurückholen!« + +»Und wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?« sagte der Papagei. + +Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling: +»Dinah ist unsere Katze, und sie ist euch so geschickt im Mäusefangen, +ihr könnt's euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur Vögel +jagen sehen. Ich sage euch, sie frißt einen kleinen Vogel, so wie sie +ihn zu Gesicht bekommt.« + +Diese Mittheilung verursachte große Aufregung in der Gesellschaft. +Einige der Vögel machten sich augenblicklich davon; eine alte Elster +fing an, sich sorgfältig einzuwickeln, indem sie bemerkte: »Ich muß +wirklich nach Hause gehen; die Nachtluft ist nicht gut für meinen Hals!« +und ein Canarienvogel piepte zitternd zu seinen Kleinen, »Kommt fort, +Kinder! es ist die höchste Zeit für euch, zu Bett zu gehen!« Unter +verschiedenen Entschuldigungen entfernten sie sich Alle, und Alice war +bald ganz allein. + +»Hätte ich nur Dinah nicht erwähnt!« sprach sie bei sich mit betrübtem +Tone. »Niemand scheint sie gern zu haben, hier unten, und dabei ist sie +doch die beste Katze von der Welt! Oh, meine liebe Dinah! ob ich dich +wohl je wieder sehen werde!« dabei fing die arme Alice von Neuem zu +weinen an, denn sie fühlte sich gar zu einsam und muthlos. Nach einem +Weilchen jedoch hörte sie wieder ein Trappeln von Schritten in der +Entfernung und blickte aufmerksam hin, halb in der Hoffnung, daß die +Maus sich besonnen habe und zurückkomme, ihre Geschichte auszuerzählen. + + + + +Viertes Kapitel. + +Die Wohnung des Kaninchens. + + +Es war das weiße Kaninchen, das langsam zurückgewandert kam, indem es +sorgfältig beim Gehen umhersah, als ob es etwas verloren hätte, und sie +hörte wie es für sich murmelte: »die Herzogin! die Herzogin! Oh, meine +weichen Pfoten! o mein Fell und Knebelbart! Sie wird mich hängen lassen, +so gewiß Frettchen Frettchen sind! Wo ich sie kann haben fallen lassen, +begreife ich nicht!« Alice errieth augenblicklich, daß es den Fächer und +die weißen Glaceehandschuhe meinte, und gutmüthig genug fing sie an, +danach umher zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen -- Alles schien +seit ihrem Bade in dem Pfuhl verwandelt zu sein, und der große Corridor +mit dem Glastische und der kleinen Thür war gänzlich verschwunden. + +Das Kaninchen erblickte Alice bald, und wie sie überall suchte, rief es +ihr ärgerlich zu: »Was, Marianne, was hast du hier zu schaffen? Renne +augenblicklich nach Hause, und hole mir ein Paar Handschuhe und einen +Fächer! Schnell, vorwärts!« Alice war so erschrocken, daß sie schnell in +der angedeuteten Richtung fortlief, ohne ihm zu erklären, daß es sich +versehen habe. + +»Es hält mich für sein Hausmädchen,« sprach sie bei sich selbst und lief +weiter. »Wie es sich wundern wird, wenn es erfährt, wer ich bin! Aber +ich will ihm lieber seinen Fächer und seine Handschuhe bringen +-- nämlich, wenn ich sie finden kann.« Wie sie so sprach, kam sie an ein +nettes kleines Haus, an dessen Thür ein glänzendes Messingschild war mit +dem Namen »W. _Kaninchen_« darauf. Sie ging hinein ohne anzuklopfen, lief +die Treppe hinauf, in großer Angst, der wirklichen Marianne zu begegnen +und zum Hause hinausgewiesen zu werden, ehe sie den Fächer und die +Handschuhe gefunden hätte. + +»Wie komisch es ist,« sagte Alice bei sich, »Besorgungen für ein +Kaninchen zu machen! Vermuthlich wird mir Dinah nächstens Aufträge +geben!« Und sie dachte sich schon aus, wie es Alles kommen würde: + +»Fräulein Alice! Kommen Sie gleich, es ist Zeit zum Ausgehen für Sie!« +»Gleich Kinderfrau! aber ich muß dieses Mäuseloch hier bewachen bis +Dinah wiederkommt, und aufpassen, daß die Maus nicht herauskommt.« »Nur +würde Dinah,« dachte Alice weiter, »gewiß nicht im Hause bleiben dürfen, +wenn sie anfinge, die Leute so zu commandiren.« + +Mittlerweile war sie in ein sauberes kleines Zimmer gelangt, mit einem +Tisch vor dem Fenster und darauf (wie sie gehofft hatte) ein Fächer und +zwei oder drei Paar winziger weißer Glaceehandschuhe; sie nahm den +Fächer und ein Paar Handschuhe und wollte eben das Zimmer verlassen, als +ihr Blick auf ein Fläschchen fiel, das bei dem Spiegel stand. Diesmal +war kein Zettel mit den Worten: »_Trink mich_« darauf, aber trotzdem zog +sie den Pfropfen heraus und setzte es an die Lippen. »Ich weiß, _etwas_ +Merkwürdiges muß geschehen, sobald ich esse oder trinke; drum will ich +versuchen, was dies Fläschchen thut. Ich hoffe, es wird mich wieder +größer machen; denn es ist mir sehr langweilig, solch winzig kleines +Ding zu sein!« + +Richtig, und zwar schneller, als sie erwartete: ehe sie das Fläschchen +halb ausgetrunken hatte fühlte sie, wie ihr Kopf an die Decke stieß, +und mußte sich rasch bücken, um sich nicht den Hals zu brechen. Sie +stellte die Flasche hin, indem sie zu sich sagte: »Das ist ganz genug -- +ich hoffe, ich werde nicht weiter wachsen -- ich kann so schon nicht zur +Thüre hinaus -- hätte ich nur nicht so viel getrunken!« + +[Illustration] + +O weh! es war zu spät, dies zu wünschen. Sie wuchs und wuchs, und mußte +sehr bald auf den Fußboden niederknien; den nächsten Augenblick war +selbst dazu nicht Platz genug, sie legte sich nun hin, mit einem +Ellbogen gegen die Thür gestemmt und den andern Arm unter dem Kopfe. +Immer noch wuchs sie, und als letzte Hülfsquelle streckte sie einen Arm +zum Fenster hinaus und einen Fuß in den Kamin hinauf, und sprach zu sich +selbst: »Nun kann ich nicht mehr thun, was auch geschehen mag. Was _wird_ +nur aus mir werden?« + +Zum Glück für Alice hatte das Zauberfläschchen nun seine volle Wirkung +gehabt, und sie wuchs nicht weiter. Aber es war sehr unbequem, und da +durchaus keine Aussicht war, daß sie je wieder aus dem Zimmer hinaus +komme, so war sie natürlich sehr unglücklich. + +»Es war viel besser zu Hause,« dachte die arme Alice, »wo man nicht +fortwährend größer und kleiner wurde, und sich nicht von Mäusen und +Kaninchen commandiren zu lassen brauchte. Ich wünschte fast, ich wäre +nicht in den Kaninchenbau hineingelaufen -- aber -- aber, es ist doch +komisch, diese Art Leben! Ich möchte wohl wissen, _was_ eigentlich mit mir +vorgegangen ist! Wenn ich Märchen gelesen habe, habe ich immer gedacht, +so etwas käme nie vor, nun bin ich mitten drin in einem! Es sollte ein +Buch von mir geschrieben werden, und wenn ich groß bin, will ich eins +schreiben -- aber ich bin ja jetzt groß,« sprach sie betrübt weiter, +»wenigstens _hier_ habe ich keinen Platz übrig, noch größer zu werden.« + +»Aber,« dachte Alice, »werde ich denn nie älter werden, als ich jetzt +bin? das ist ein Trost -- nie eine alte Frau zu sein -- aber dann -- +immer Aufgaben zu lernen zu haben! Oh, _das_ möchte ich nicht gern!« + +»O, du einfältige Alice,« schalt sie sich selbst. »Wie kannst du hier +Aufgaben lernen? Sieh doch, es ist kaum Platz genug für dich, viel +weniger für irgend ein Schulbuch!« + +Und so redete sie fort; erst als eine Person, dann die andere, und hatte +so eine lange Unterhaltung mit sich selbst; aber nach einigen Minuten +hörte sie draußen eine Stimme und schwieg still, um zu horchen. + +»Marianne! Marianne!« sagte die Stimme, »hole mir gleich meine +Handschuhe!« dann kam ein Trappeln von kleinen Füßen die Treppe herauf. +Alice wußte, daß es das Kaninchen war, das sie suchte, und sie zitterte +so sehr, daß sie das ganze Haus erschütterte; sie hatte ganz vergessen, +daß sie jetzt wohl tausend Mal so groß wie das Kaninchen war und keine +Ursache hatte, sich vor ihm zu fürchten. + +Jetzt kam das Kaninchen an die Thür und wollte sie aufmachen; da aber +die Thür nach innen aufging und Alice's Ellbogen fest dagegen gestemmt +war, so war es ein vergeblicher Versuch. Alice hörte, wie es zu sich +selbst sprach: »dann werde ich herum gehen und zum Fenster +hineinsteigen.« + +[Illustration] + +»Das wirst du nicht thun,« dachte Alice, und nachdem sie gewartet hatte, +bis sie das Kaninchen dicht unter dem Fenster zu hören glaubte, streckte +sie mit einem Male ihre Hand aus und griff in die Luft. Sie faßte zwar +nichts, hörte aber einen schwachen Schrei und einen Fall, dann das +Geklirr von zerbrochenem Glase, woraus sie schloß, daß es wahrscheinlich +in ein Gurkenbeet gefallen sei, oder etwas dergleichen. + +Demnächst kam eine ärgerliche Stimme -- die des Kaninchens -- »Pat! Pat! +wo bist du?« und dann eine Stimme, die sie noch nicht gehört hatte: »Wo +soll ich sind? ich bin hier! grabe Aepfel aus, Euer Jnaden!« + +»Aepfel ausgraben? so!« sagte das Kaninchen ärgerlich. »Hier! komm und +hilf mir heraus!« (Noch mehr Geklirr von Glasscherben.) + +»Nun sage mir, Pat, was ist das da oben im Fenster?« + +»Wat soll's sind? 's is en Arm, Euer Jnaden!« (Er sprach es »Arrum« +aus.) + +»Ein Arm, du Esel! Wer hat je einen so großen Arm gesehen? er nimmt ja +das ganze Fenster ein!« + +»Zu dienen, des thut er, Euer Jnaden; aber en Arm is es, und en Arm +bleebt es.« + +»Jedenfalls hat er da nichts zu suchen: geh' und schaffe ihn fort!« + +Darauf folgte eine lange Pause, während welcher Alice sie nur einzelne +Worte flüstern hörte, wie: »Zu dienen, des scheint mer nich, Euer +Jnaden, jar nich, jar nich!« »Thu', was ich dir sage, feige Memme!« +zuletzt streckte sie die Hand wieder aus und that einen Griff in die +Luft. Diesmal hörte sie ein leises Wimmern und noch mehr Geklirr von +Glasscherben. »Wie viel Gurkenbeete da sein müssen!« dachte Alice. »Mich +soll doch wundern, was sie nun thun werden! Mich zum Fenster hinaus +ziehen? ja, wenn sie das nur könnten! Ich bliebe wahrlich nicht gern +länger hier!« + +Sie wartete eine Zeit lang, ohne etwas zu hören; endlich kam ein Rollen +von kleinen Leiterwagen, und ein Lärm von einer Menge Stimmen, alle +durcheinander; sie verstand die Worte: »Wo ist die andere Leiter? -- Ich +sollte ja nur eine bringen; Wabbel hat die andere -- Wabbel, bringe sie +her, Junge! -- Lehnt sie hier gegen diese Ecke -- Nein, sie müssen erst +zusammengebunden werden -- sie reichen nicht halb hinauf -- Ach, was +werden sie nicht reichen: seid nicht so umständlich -- Hier, Wabbel! +fange den Strick -- Wird das Dach auch tragen? -- Nimm dich mit dem losen +Schiefer in Acht -- oh, da fällt er! Köpfe weg!« (ein lautes Krachen) -- +»Wessen Schuld war das? -- Wabbel's, glaube ich -- Wer soll in den +Schornstein steigen? -- Ich nicht, so viel weiß ich! Ihr aber doch, +nicht wahr? -- Nicht ich, meiner Treu! -- Wabbel kann hineinsteigen -- +Hier, Wabbel! der Herr sagt, du sollst in den Schornstein steigen!« + +»So, also Wabbel soll durch den Schornstein hereinkommen, wirklich?« +sagte Alice zu sich selbst. »Sie scheinen mir Alles auf Wabbel zu +schieben: ich möchte um Alles nicht an Wabbel's Stelle sein; der Kamin +ist freilich eng, aber etwas werde ich doch wohl mit dem Fuße +ausschlagen können!« + +[Illustration] + +Sie zog ihren Fuß so weit herunter, wie sie konnte, und wartete, bis sie +ein kleines Thier (sie konnte nicht rathen, was für eine Art es sei) in +dem Schornstein kratzen und klettern hörte; als es dicht über ihr war, +sprach sie bei sich: »Dies ist Wabbel,« gab einen kräftigen Stoß in die +Höhe, und wartete dann der Dinge, die da kommen würden. + +Zuerst hörte sie einen allgemeinen Chor: »Da fliegt Wabbel!« dann die +Stimme des Kaninchens allein: -- »Fangt ihn auf, ihr da bei der Hecke!« +darauf Stillschweigen, dann wieder verworrene Stimmen: -- »Haltet ihm +den Kopf -- etwas Branntwein -- Ersticke ihn doch nicht -- Wie geht's, +alter Kerl? Was ist dir denn geschehen? erzähle uns Alles!« + +Zuletzt kam eine kleine schwache, quiekende Stimme (»das ist Wabbel,« +dachte Alice): »Ich weiß es ja selbst nicht -- Keinen mehr, danke! Ich +bin schon viel besser -- aber ich bin viel zu aufgeregt, um euch zu +erzählen -- Ich weiß nur, da kommt ein Ding in die Höhe, wie'n +Dosen-Stehauf, und auf fliege ich wie 'ne Rackete!« + +»Ja, das hast du gethan, alter Kerl!« sagten die Andern. + +»Wir müssen das Haus niederbrennen!« rief das Kaninchen; da schrie Alice +so laut sie konnte: »Wenn ihr das thut, werde ich Dinah über euch +schicken!« + +Sogleich entstand tiefes Schweigen, und Alice dachte bei sich: »_Was_ sie +wohl jetzt thun werden? Wenn sie Menschenverstand hätten, würden sie das +Dach abreißen.« Nach einer oder zwei Minuten fingen sie wieder an sich +zu rühren, und Alice hörte das Kaninchen sagen: »Eine Karre voll ist vor +der Hand genug.« + +»Eine Karre voll was?« dachte Alice; doch blieb sie nicht lange im +Zweifel, denn den nächsten Augenblick kam ein Schauer von kleinen +Kieseln zum Fenster herein geflogen, von denen ein Paar sie gerade in's +Gesicht trafen. »Dem will ich ein Ende machen,« sagte sie bei sich und +schrie hinaus: »Das laßt mir gefälligst bleiben!« worauf wieder tiefe +Stille erfolgte. + +Alice bemerkte mit einigem Erstaunen, daß die Kiesel sich alle in kleine +Kuchen verwandelten, als sie auf dem Boden lagen, und dies brachte sie +auf einen glänzenden Gedanken. »Wenn ich einen von diesen Kuchen esse,« +dachte sie, »wird es gewiß meine Größe verändern; und da ich unmöglich +noch mehr wachsen kann, so wird es mich wohl kleiner machen, vermuthe +ich.« + +Sie schluckte demnach einen kleinen Kuchen herunter, und merkte zu ihrem +Entzücken, daß sie sogleich abnahm. Sobald sie klein genug war, um durch +die Thür zu gehen, rannte sie zum Hause hinaus, und fand einen +förmlichen Auflauf von kleinen Thieren und Vögeln davor. Die arme kleine +Eidechse, Wabbel, war in der Mitte, von zwei Meerschweinchen +unterstützt, die ihm etwas aus einer Flasche gaben. Es war ein +allgemeiner Sturm auf Alice, sobald sie sich zeigte; sie lief aber so +schnell sie konnte davon, und kam sicher in ein dichtes Gebüsch. + +»Das Nöthigste, was ich nun zu thun habe,« sprach Alice bei sich, wie +sie in dem Wäldchen umher wanderte, »ist, meine richtige Größe zu +erlangen; und das Zweite, den Weg zu dem wunderhübschen Garten zu +finden. Ja, das wird der beste Plan sein.« + +Es klang freilich wie ein vortrefflicher Plan, und recht nett und +einfach ausgedacht; die einzige Schwierigkeit war, daß sie nicht den +geringsten Begriff hatte, wie sie ihn ausführen sollte; und während sie +so ängstlich zwischen den Bäumen umherguckte, hörte sie plötzlich ein +scharfes feines Bellen gerade über ihrem Kopfe und sah eilig auf. + +Ein ungeheuer großer junger Hund sah mit seinen hervorstehenden runden +Augen auf sie herab und machte einen schwachen Versuch, eine Pfote +auszustrecken und sie zu berühren. »Armes kleines Ding!« sagte Alice in +liebkosendem Tone, und sie gab sich alle Mühe, ihm zu pfeifen; dabei +hatte sie aber große Angst, ob er auch nicht hungrig wäre, denn dann +würde er sie wahrscheinlich auffressen trotz allen Liebkosungen. + +[Illustration] + +Ohne recht zu wissen was sie that, nahm sie ein Stäbchen auf und hielt +es ihm hin; worauf das ungeschickte Thierchen mit allen vier Füßen +zugleich in die Höhe sprang, vor Entzücken laut aufbellte, auf das +Stäbchen losrannte und that, als wolle es es zerreißen; da wich Alice +ihm aus hinter eine große Distel, um nicht zertreten zu werden; und so +wie sie auf der andern Seite hervorkam, lief der junge Hund wieder auf +das Stäbchen los und fiel kopfüber in seiner Eile, es zu fangen. Alice, +der es vorkam, als wenn Jemand mit einem Fuhrmannspferde Zeck spielt, +und die jeden Augenblick fürchtete, unter seine Füße zu gerathen, lief +wieder hinter die Distel; da machte der junge Hund eine Reihe von kurzen +Anläufen auf das Stäbchen, wobei er jedes Mal ein klein wenig vorwärts +und ein gutes Stück zurück rannte und sich heiser bellte, bis er sich +zuletzt mit zum Munde heraushängender Zunge und halb geschlossenen +Augen, ganz außer Athem hinsetzte. + +Dies schien Alice eine gute Gelegenheit zu sein, fortzukommen; sie +machte sich also gleich davon, und rannte bis sie ganz müde war und +keine Luft mehr hatte, und bis das Bellen nur noch ganz schwach in der +Ferne zu hören war. + +»Und doch war es ein lieber kleiner Hund!« sagte Alice, indem sie sich +an eine Butterblume lehnte um auszuruhen, und sich mit einem der Blätter +fächelte. »Ich hätte ihn gern Kunststücke gelehrt, wenn -- wenn ich nur +groß genug dazu gewesen wäre! O ja! das hätte ich beinah vergessen, ich +muß ja machen, daß ich wieder wachse! Laß sehen -- wie fängt man es doch +an? Ich dächte, ich sollte irgend etwas essen oder trinken; aber die +Frage ist, was?« + +Das war in der That die Frage. Alice blickte um sich nach allen Blumen +und Grashalmen; aber gar nichts sah aus, als ob es das Rechte sei, das +sie unter den Umständen essen oder trinken müsse. In der Nähe wuchs ein +großer Pilz, ungefähr so hoch wie sie; nachdem sie ihn sich von unten, +von beiden Seiten, rückwärts und vorwärts betrachtet hatte, kam es ihr +in den Sinn zu sehen, was oben darauf sei. Sie stellte sich also auf die +Fußspitzen und guckte über den Rand des Pilzes, und sogleich begegnete +ihr Blick dem einer großen blauen Raupe, die mit kreuzweise gelegten +Armen da saß und ruhig aus einer großen Huhka rauchte, ohne die +geringste Notiz von ihr noch sonst irgend Etwas zu nehmen. + + + + +[Illustration] + + + + +Fünftes Kapitel. + +Guter Rath von einer Raupe. + + +Die Raupe und Alice sahen sich eine Zeit lang schweigend an; endlich +nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde und redete sie mit schmachtender, +langsamer Stimme an. »Wer bist du?« fragte die Raupe. + +Das war kein sehr ermuthigender Anfang einer Unterhaltung. Alice +antwortete, etwas befangen: »Ich -- ich weiß nicht recht, diesen +Augenblick -- vielmehr ich weiß, wer ich heut früh war, als ich +aufstand; aber ich glaube, ich muß seitdem ein paar Mal verwechselt +worden sein.« + +»Was meinst du damit?« sagte die Raupe strenge. »Erkläre dich +deutlicher!« + +»Ich kann mich nicht deutlicher erklären, fürchte ich, Raupe,« sagte +Alice, »weil ich nicht ich bin, sehen Sie wohl?« + +»Ich sehe nicht wohl,« sagte die Raupe. + +»Ich kann es wirklich nicht besser ausdrücken,« erwiederte Alice sehr +höflich, »denn ich kann es selbst nicht begreifen; und wenn man an einem +Tage so oft klein und groß wird, wird man ganz verwirrt.« + +»Nein, das wird man nicht,« sagte die Raupe. + +»Vielleicht haben Sie es noch nicht versucht,« sagte Alice, »aber wenn +Sie sich in eine Puppe verwandeln werden, das müssen Sie über kurz oder +lang wie Sie wissen -- und dann in einen Schmetterling, das wird sich +doch komisch anfühlen, nicht wahr?« + +»Durchaus nicht,« sagte die Raupe. + +»Sie fühlen wahrscheinlich anders darin,« sagte Alice; »so viel weiß +ich, daß es mir sehr komisch sein würde.« + +»Dir!« sagte die Raupe verächtlich. »Wer bist _du_ denn?« + +Was sie wieder auf den Anfang der Unterhaltung zurückbrachte. Alice war +etwas ärgerlich, daß die Raupe so sehr kurz angebunden war; sie warf den +Kopf in die Höhe und sprach sehr ernst: »Ich dächte, Sie sollten mir +erst sagen, wer _Sie_ sind?« + +»Weshalb?« fragte die Raupe. + +Das war wieder eine schwierige Frage; und da sich Alice auf keinen guten +Grund besinnen konnte und die Raupe _sehr_ schlechter Laune zu sein +schien, so ging sie ihrer Wege. + +»Komm zurück!« rief ihr die Raupe nach, »ich habe dir etwas Wichtiges zu +sagen!« + +Das klang sehr einladend; Alice kehrte wieder um und kam zu ihr zurück. + +»Sei nicht empfindlich,« sagte die Raupe. + +»Ist das Alles?« fragte Alice, ihren Aerger so gut sie konnte +verbergend. + +»Nein,« sagte die Raupe. + +Alice dachte, sie wollte doch warten, da sie sonst nichts zu thun habe, +und vielleicht würde sie ihr etwas sagen, das der Mühe werth sei. Einige +Minuten lang rauchte die Raupe fort ohne zu reden; aber zuletzt nahm sie +die Huhka wieder aus dem Munde und sprach: »Du glaubst also, du bist +verwandelt?« + +»Ich fürchte es fast, Raupe,« sagte Alice, »ich kann Sachen nicht +behalten wie sonst, und ich werde alle zehn Minuten größer oder +kleiner!« + +»Kannst _welche_ Sachen nicht behalten?« fragte die Raupe. + +»Ach, ich habe versucht zu sagen: Bei einem Wirthe &c.; aber es kam ganz +anders!« antwortete Alice in niedergeschlagenem Tone. + +»Sage her: Ihr seid alt, Vater Martin,« sagte die Raupe. + +Alice faltete die Hände und fing an: -- + +[Illustration] + + »Ihr seid alt, Vater Martin,« so sprach Junker Tropf, + »Euer Haar ist schon lange ganz weiß; + Doch steht ihr so gerne noch auf dem Kopf. + Macht Euch denn das nicht zu heiß?« + + »Als ich jung war,« der Vater zur Antwort gab, + »Da glaubt' ich, für's Hirn sei's nicht gut; + Doch seit ich entdeckt, daß ich gar keines hab' + So thu' ich's mit fröhlichem Muth.« + +[Illustration] + + »Ihr seid alt,« sprach der Sohn, »wie vorhin schon gesagt, + Und geworden ein gar dicker Mann; + Drum sprecht, wie ihr rücklings den Purzelbaum schlagt. + Potz tausend! wie fangt ihr's nur an?« + + »Als ich jung war,« der Alte mit Kopfschütteln sagt', + »Da rieb ich die Glieder mir ein + Mit der Salbe hier, die sie geschmeidig macht. + Für zwei Groschen Courant ist sie dein.« + +[Illustration] + + »Ihr seid alt,« sprach der Bub', »und könnt nicht recht kau'n, + Und solltet euch nehmen in Acht; + Doch aßt ihr die Ganz mit Schnabel und Klau'n; + Wie habt ihr das nur gemacht?« + + »Ich war früher Jurist und hab' viel disputirt, + Besonders mit meiner Frau; + Das hat so mir die Kinnbacken einexercirt, + Daß ich jetzt noch mit Leichtigkeit kau!« + +[Illustration] + + »Ihr seid alt,« sagte der Sohn, »und habt nicht viel Witz, + Und doch seid ihr so geschickt; + Balancirt einen Aal auf der Nasenspitz'! + Wie ist euch das nur geglückt?« + + »Drei Antworten hast du, und damit genug, + Nun laß mich kein Wort mehr hören; + Du Guck in die Welt thust so überklug, + Ich werde dich Mores lehren!« + +»Das ist nicht richtig,« sagte die Raupe. + +»Nicht ganz richtig, glaube ich,« sagte Alice schüchtern; »manche Wörter +sind anders gekommen.« + +»Es ist von Anfang bis zu Ende falsch,« sagte die Raupe mit +Entschiedenheit, worauf eine Pause von einigen Minuten eintrat. + +Die Raupe sprach zuerst wieder. + +»Wie groß möchtest du gern sein?« fragte sie. + +»Oh, es kommt nicht so genau darauf an,« erwiederte Alice schnell; »nur +das viele Wechseln ist nicht angenehm, nicht wahr?« + +»Nein, es ist nicht wahr!« sagte die Raupe. + +Alice antwortete nichts; es war ihr im Leben nicht so viel widersprochen +worden, und sie fühlte, daß sie wieder anfing, empfindlich zu werden. + +»Bist du jetzt zufrieden?« sagte die Raupe. + +»Etwas größer, Frau Raupe, wäre ich gern, wenn ich bitten darf,« sagte +Alice; »drei und einen halben Zoll ist gar zu winzig.« + +»Es ist eine sehr angenehme Größe, finde ich,« sagte die Raupe zornig +und richtete sich dabei in die Höhe (sie war gerade drei Zoll hoch). + +»Aber ich bin nicht daran gewöhnt!« vertheidigte sich die arme Alice in +weinerlichem Tone. Bei sich dachte sie: »Ich wünschte, alle diese +Geschöpfe nähmen nicht Alles gleich übel.« + +»Dur wirst es mit der Zeit gewohnt werden,« sagte die Raupe, steckte +ihre Huhka in den Mund und fing wieder an zu rauchen. + +Diesmal wartete Alice geduldig, bis es ihr gefällig wäre zu reden. Nach +zwei oder drei Minuten nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde, gähnte +ein bis zwei Mal und schüttelte sich. Dann kam sie von dem Pilze +herunter, kroch in's Gras hinein und bemerkte blos bei'm Weggehen: »Die +eine Seite macht dich größer, die andere Seite macht dich kleiner.« + +»Eine Seite wovon? die andere Seite wovon?« dachte Alice bei sich. + +»Von dem Pilz,« sagte die Raupe, gerade als wenn sie laut gefragt hätte; +und den nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen. + +Alice blieb ein Weilchen gedankenvoll vor dem Pilze stehen, um ausfindig +zu machen, welches seine beiden Seiten seien; und da er vollkommen rund +war, so fand sie die Frage schwierig zu beantworten. Zuletzt aber +reichte sie mit beiden Armen, so weit sie herum konnte, und brach mit +jeder Hand etwas vom Rande ab. + +»Nun aber, welches ist das rechte?« sprach sie zu sich, und biß ein +wenig von dem Stück in ihrer rechten Hand ab, um die Wirkung +auszuprobiren; den nächsten Augenblick fühlte sie einen heftigen Schmerz +am Kinn, es hatte an ihren Fuß angestoßen! + +Ueber diese plötzliche Verwandlung war sie sehr erschrocken, aber da war +keine Zeit zu verlieren, da sie sehr schnell kleiner wurde; sie machte +sich also gleich daran, etwas von dem andern Stück zu essen. Ihr Kinn +war so dicht an ihren Fuß gedrückt, daß ihr kaum Platz genug blieb, den +Mund aufzumachen; endlich aber gelang es ihr, ein wenig von dem Stück in +ihrer linken Hand herunter zu schlucken. + + * * * * * + +»Ah! endlich ist mein Kopf frei!« rief Alice mit Entzücken, das sich +jedoch den nächsten Augenblick in Angst verwandelte, da sie merkte, daß +ihre Schultern nirgends zu finden waren: als sie hinunter sah, konnte +sie weiter nichts erblicken, als einen ungeheuer langen Hals, der sich +wie eine Stange aus einem Meer von grünen Blättern erhob, das unter ihr +lag. + +»Was mag all das grüne Zeug sein?« sagte Alice. »Und wo sind meine +Schultern nur hingekommen? Und ach, meine armen Hände, wie geht es zu, +daß ich euch nicht sehen kann?« Sie griff bei diesen Worten um sich, +aber es erfolgte weiter nichts, als eine kleine Bewegung in den +entfernten grünen Blättern. + +Da es ihr nicht gelang, die Hände zu ihrem Kopfe zu erheben, so +versuchte sie, den Kopf zu ihnen hinunter zu bücken, und fand zu ihrem +Entzücken, daß sie ihren Hals in allen Richtungen biegen und wenden +konnte, wie eine Schlange. Sie hatte ihn gerade in ein malerisches +Zickzack gewunden und wollte eben in das Blättermeer hinunter tauchen, +das, wie sie sah, durch die Gipfel der Bäume gebildet wurde, unter denen +sie noch eben herumgewandert war, als ein lautes Rauschen sie plötzlich +zurückschreckte: eine große Taube kam ihr in's Gesicht geflogen und +schlug sie heftig mit den Flügeln. + +»Schlange!« kreischte die Taube. + +»Ich bin _keine_ Schlange!« sagte Alice mit Entrüstung. »Laß mich in +Ruhe!« + +»Schlange sage ich!« wiederholte die Taube, aber mit gedämpfter Stimme, +und fuhr schluchzend fort: »Alles habe ich versucht, und nichts ist +ihnen genehm!« + +»Ich weiß gar nicht, wovon du redest,« sagte Alice. + +»Baumwurzeln habe ich versucht, Flußufer habe ich versucht, Hecken habe +ich versucht,« sprach die Taube weiter, ohne auf sie zu achten; »aber +diese Schlangen! Nichts ist ihnen recht!« + +Alice verstand immer weniger; aber sie dachte, es sei unnütz etwas zu +sagen, bis die Taube fertig wäre. + +»Als ob es nicht Mühe genug wäre, die Eier auszubrüten,« sagte die +Taube, »da muß ich noch Tag und Nacht den Schlangen aufpassen! Kein Auge +habe ich die letzten drei Wochen zugethan!« + +»Es thut mir sehr leid, daß du so viel Verdruß gehabt hast,« sagte +Alice, die zu verstehen anfing, was sie meinte. + +»Und gerade da ich mir den höchsten Baum im Walde ausgesucht habe,« fuhr +die Taube mit erhobener Stimme fort, »und gerade da ich dachte, ich wäre +sie endlich los, müssen sie sich sogar noch vom Himmel herunterwinden! +Pfui! Schlange!« + +»Aber ich bin _keine_ Schlange, sage ich dir!« rief Alice, »ich bin ein -- +ich bin ein --« + +»Nun, was bist du denn?« fragte die Taube. »Ich merke wohl, daß du dir +etwas ausdenken willst!« + +»Ich -- ich bin ein kleines Mädchen,« sagte Alice etwas unsicher, da sie +an die vielfachen Verwandlungen dachte, die sie den Tag über schon +durchgemacht hatte. + +»Eine schöne Ausrede, wahrhaftig!« sagte die Taube im Tone tiefster +Verachtung. »Ich habe mein Lebtag genug kleine Mädchen gesehen, aber nie +eine mit solch einem Hals! Nein, nein! du bist eine Schlange! das kannst +du nicht abläugnen. Du wirst am Ende noch behaupten, daß du nie ein Ei +gegessen hast.« + +»Ich _habe_ Eier gegessen, freilich,« sagte Alice, die ein sehr +wahrheitsliebendes Kind war; »aber kleine Mädchen essen Eier eben so gut +wie Schlangen.« + +»Das glaube ich nicht,« sagte die Taube; »wenn sie es aber thun, nun +dann sind sie eine Art Schlangen, so viel weiß ich.« + +Das war etwas so Neues für Alice, daß sie ein Paar Minuten ganz still +schwieg; die Taube benutzte die Gelegenheit und fuhr fort: »Du suchst +Eier, das weiß ich nur zu gut, und was kümmert es mich, ob du ein +kleines Mädchen oder eine Schlange bist?« + +»Aber _mich_ kümmert es sehr,« sagte Alice schnell; »übrigens suche ich +zufällig nicht Eier, und wenn ich es thäte, so würde ich deine nicht +brauchen können; ich esse sie nicht gern roh.« + +»Dann mach', daß du fortkommst!« sagte die Taube verdrießlich, indem sie +sich in ihrem Nest wieder zurecht setzte. Alice duckte sich unter die +Bäume so gut sie konnte; denn ihr Hals verwickelte sich fortwährend in +die Zweige, und mehre Male mußte sie anhalten und ihn losmachen. Nach +einer Weile fiel es ihr wieder ein, daß sie noch die Stückchen Pilz in +den Händen hatte, und sie machte sich sorgfältig daran, knabberte bald +an dem einen, bald an dem andern, und wurde abwechselnd größer und +kleiner, bis es ihr zuletzt gelang, ihre gewöhnliche Größe zu bekommen. + +Es war so lange her, daß sie auch nur ungefähr ihre richtige Höhe gehabt +hatte, daß es ihr erst ganz komisch vorkam; aber nach einigen Minuten +hatte sie sich daran gewöhnt und sprach mit sich selbst wie gewöhnlich. +»Schön, nun ist mein Plan halb ausgeführt! Wie verwirrt man von dem +vielen Wechseln wird! Ich weiß nie, wie ich den nächsten Augenblick +sein werde! Doch jetzt habe ich meine richtige Größe: nun kommt es +darauf an, in den schönen Garten zu gelangen -- wie _kann_ ich das +anstellen? das möchte ich wissen!« Wie sie dies sagte, kam sie in eine +Lichtung mit einem Häuschen in der Mitte, ungefähr vier Fuß hoch. »Wer +auch darin wohnen mag, es geht nicht an, daß ich so groß wie ich jetzt +bin hineingehe: sie würden vor Angst nicht wissen wohin!« Also knabberte +sie wieder an dem Stückchen in der rechten Hand, und wagte sich nicht an +das Häuschen heran, bis sie sich auf neun Zoll herunter gebracht hatte. + + + + +Sechstes Kapitel. + +Ferkel und Pfeffer. + + +Noch ein bis zwei Augenblicke stand sie und sah das Häuschen an, ohne +recht zu wissen was sie nun thun solle, als plötzlich ein Lackei in +Livree vom Walde her gelaufen kam -- (sie hielt ihn für einen Lackeien, +weil er Livree trug, sonst, nach seinem Gesichte zu urtheilen, würde sie +ihn für einen Fisch angesehen haben) -- und mit den Knöcheln laut an die +Thür klopfte. Sie wurde von einem andern Lackeien in Livree geöffnet, +der ein rundes Gesicht und große Augen wie ein Frosch hatte, und beide +Lackeien hatten, wie Alice bemerkte, gepuderte Lockenperücken über den +ganzen Kopf. Sie war sehr neugierig, was nun geschehen würde, und +schlich sich etwas näher, um zuzuhören. + +[Illustration] + +Der Fisch-Lackei fing damit an, einen ungeheuren Brief, beinah so groß +wie er selbst, unter dem Arme hervorzuziehen; diesen überreichte er dem +anderen, in feierlichem Tone sprechend: »Für die Herzogin. Eine +Einladung von der Königin, Croquet zu spielen.« Der Frosch-Lackei +erwiederte in demselben feierlichen Tone, indem er nur die +Aufeinanderfolge der Wörter etwas veränderte: »Von der Königin. Eine +Einladung für die Herzogin, Croquet zu spielen.« + +Dann verbeugten sich Beide tief, und ihre Locken verwickelten sich in +einander. + +Darüber lachte Alice so laut, daß sie in das Gebüsch zurücklaufen mußte, +aus Furcht, sie möchten sie hören, und als sie wieder herausguckte, war +der Fisch-Lackei fort, und der andere saß auf dem Boden bei der Thür und +sah dumm in den Himmel hinauf. + +Alice ging furchtsam auf die Thür zu und klopfte. + +»Es ist durchaus unnütz, zu klopfen,« sagte der Lackei, »und das wegen +zweier Gründe. Erstens weil ich an derselben Seite von der Thür bin wie +du, zweitens, weil sie drinnen einen solchen Lärm machen, daß man dich +unmöglich hören kann.« Und wirklich war ein ganz merkwürdiger Lärm +drinnen, ein fortwährendes Heulen und Niesen, und von Zeit zu Zeit ein +lautes Krachen, als ob eine Schüssel oder ein Kessel zerbrochen wäre. + +»Bitte,« sagte Alice, »wie soll ich denn hineinkommen?« + +»Es wäre etwas Sinn und Verstand darin, anzuklopfen,« fuhr der Lackei +fort, ohne auf sie zu hören, »wenn wir die Thür zwischen uns hätten. Zum +Beispiel, wenn du drinnen wärest, könntest du klopfen, und ich könnte +dich herauslassen, nicht wahr?« Er sah die ganze Zeit über, während er +sprach, in den Himmel hinauf, was Alice entschieden sehr unhöflich fand. +»Aber vielleicht kann er nicht dafür,« sagte sie bei sich; »seine Augen +sind so hoch oben auf seiner Stirn. Aber jedenfalls könnte er mir +antworten. -- Wie soll ich denn hineinkommen?« wiederholte sie laut. + +»Ich werde hier sitzen,« sagte der Lackei, »bis morgen --« + +In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und ein großer Teller kam +heraus geflogen, gerade auf den Kopf des Lackeien los; er strich aber +über seine Nase hin und brach an einem der dahinterstehenden Bäume in +Stücke. + +»-- oder übermorgen, vielleicht,« sprach der Lackei in demselben Tone +fort, als ob nichts vorgefallen wäre. + +»Wie soll ich denn hineinkommen?« fragte Alice wieder, lauter als +vorher. + +»Sollst du überhaupt hineinkommen?« sagte der Lackei. »Das ist die erste +Frage, nicht wahr?« + +Das war es allerdings; nur ließ sich Alice das nicht gern sagen. »Es ist +wirklich schrecklich,« murmelte sie vor sich hin, »wie naseweis alle +diese Geschöpfe sind. Es könnte Einen ganz verdreht machen!« + +Der Lackei schien dies für eine gute Gelegenheit anzusehen, seine +Bemerkung zu wiederholen, und zwar mit Variationen. »Ich werde hier +sitzen,« sagte er, »ab und an, Tage und Tage lang.« + +»Was soll _ich_ aber thun?« fragte Alice. + +»Was dir gefällig ist,« sagte der Lackei, und fing an zu pfeifen. + +»Es hilft zu nichts, mit ihm zu reden,« sagte Alice außer sich, »er ist +vollkommen blödsinnig!« Sie klinkte die Thür auf und ging hinein. + +Die Thür führte geradewegs in eine große Küche, welche von einem Ende +bis zum andern voller Rauch war; in der Mitte saß auf einem dreibeinigen +Schemel die Herzogin, mit einem Wickelkinde auf dem Schoße; die Köchin +stand über das Feuer gebückt und rührte in einer großen Kasserole, die +voll Suppe zu sein schien. + +»In der Suppe ist gewiß zu viel Pfeffer!« sprach Alice für sich, so gut +sie vor Niesen konnte. + +Es war wenigstens zu viel in der Luft. Sogar die Herzogin nieste hin und +wieder; was das Wickelkind anbelangt, so nieste und schrie es +abwechselnd ohne die geringste Unterbrechung. Die beiden einzigen Wesen +in der Küche, die nicht niesten, waren die Köchin und eine große Katze, +die vor dem Herde saß und grinste, sodaß die Mundwinkel bis an die Ohren +reichten. + +[Illustration] + +»Wollen Sie mir gütigst sagen,« fragte Alice etwas furchtsam, denn sie +wußte nicht recht, ob es sich für sie schicke zuerst zu sprechen, »warum +Ihre Katze so grinst?« + +»Es ist eine Grinse-Katze,« sagte die Herzogin, »darum! Ferkel!« + +Das letzte Wort sagte sie mit solcher Heftigkeit, daß Alice auffuhr; +aber den nächsten Augenblick sah sie, daß es dem Wickelkinde galt, nicht +ihr; sie faßte also Muth und redete weiter: -- + +»Ich wußte nicht, daß Katzen manchmal grinsen; ja ich wußte nicht, daß +Katzen überhaupt grinsen _können_.« + +»Sie können es alle,« sagte die Herzogin, »und die meisten thun es.« + +»Ich kenne keine, die es thut,« sagte Alice sehr höflich, da sie ganz +froh war, eine Unterhaltung angeknüpft haben. + +»Du kennst noch nicht viel,« sagte die Herzogin, »und das ist die +Wahrheit.« + +Alice gefiel diese Bemerkung gar nicht, und sie dachte daran, welchen +andern Gegenstand der Unterhaltung sie einführen könnte. Während sie +sich auf etwas Passendes besann, nahm die Köchin die Kasserole mit Suppe +vom Feuer und fing sogleich an, Alles was sie erreichen konnte nach der +Herzogin und dem Kinde zu werfen -- die Feuerzange kam zuerst, dann +folgte ein Hagel von Pfannen, Tellern und Schüsseln. Die Herzogin +beachtete sie gar nicht, auch wenn sie sie trafen; und das Kind heulte +schon so laut, daß es unmöglich war zu wissen, ob die Stöße ihm weh +thaten oder nicht. + +»Oh, bitte, nehmen Sie sich in Acht, was Sie thun!« rief Alice, die in +wahrer Herzensangst hin und her sprang. »Oh, seine liebe kleine Nase!« +als eine besonders große Pfanne dicht daran vorbeifuhr und sie beinah +abstieß. + +»Wenn Jeder nur vor seiner Thür fegen wollte,« brummte die Herzogin mit +heiserer Stimme, »würde die Welt sich bedeutend schneller drehen, als +jetzt.« + +»Was kein Vortheil wäre,« sprach Alice, die sich über die Gelegenheit +freute, ihre Kenntnisse zu zeigen. »Denken Sie nur, wie es Tag und Nacht +in Unordnung bringen würde! Die Erde braucht doch jetzt vier und zwanzig +Stunden, sich um ihre Achse zu drehen --« + +»Was, du redest von Axt?« sagte die Herzogin, »Hau' ihr den Kopf ab!« + +Alice sah sich sehr erschrocken nach der Köchin um, ob sie den Wink +verstehen würde; aber die Köchin rührte die Suppe unverwandt und schien +nicht zuzuhören, daher fuhr sie fort: »Vier und zwanzig Stunden, glaube +ich; oder sind es zwölf? Ich --« + +»Ach, laß mich in Frieden,« sagte die Herzogin, »ich habe Zahlen nie +ausstehen können!« Und damit fing sie an, ihr Kind zu warten und eine +Art Wiegenlied dazu zu singen, wovon jede Reihe mit einem derben Puffe +für das Kind endigte: -- + + »Schilt deinen kleinen Jungen aus, + Und schlag' ihn, wenn er niest; + Er macht es gar so bunt und kraus, + Nur weil es uns verdrießt.« + +_Chor_ + +(in welchen die Köchin und das Wickelkind einfielen). + + »Wau! wau! wau!« + +Während die Herzogin den zweiten Vers des Liedes sang, schaukelte sie +das Kind so heftig auf und nieder, und das arme kleine Ding schrie so, +daß Alice kaum die Worte verstehen konnte: -- + + »Ich schelte meinen kleinen Wicht, + Und schlag' ihn, wenn er niest; + Ich weiß, wie gern er Pfeffer riecht, + Wenn's ihm gefällig ist.« + +_Chor._ + + »Wau! wau! wau!« + +»Hier! du kannst ihn ein Weilchen warten, wenn du willst!« sagte die +Herzogin zu Alice, indem sie ihr das Kind zuwarf. »Ich muß mich zurecht +machen, um mit der Königin Croquet zu spielen,« damit rannte sie aus dem +Zimmer. Die Köchin warf ihr eine Bratpfanne nach; aber sie verfehlte sie +noch eben. + +Alice hatte das Kind mit Mühe und Noth aufgefangen, da es ein kleines +unförmliches Wesen war, das seine Arme und Beinchen nach allen Seiten +ausstreckte, »gerade wie ein Seestern,« dachte Alice. Das arme kleine +Ding stöhnte wie eine Locomotive, als sie es fing, und zog sich zusammen +und streckte sich wieder aus, so daß sie es die ersten Paar Minuten nur +eben halten konnte. + +Sobald sie aber die rechte Art entdeckt hatte, wie man es tragen mußte +(die darin bestand, es zu einer Art Knoten zu drehen, und es dann fest +beim rechten Ohr und linken Fuß zu fassen, damit es sich nicht wieder +aufwickeln konnte), brachte sie es in's Freie. »Wenn ich dies Kind nicht +mit mir nehme,« dachte Alice, »so werden sie es in wenigen Tagen +umgebracht haben; wäre es nicht Mord, es da zu lassen?« Sie sprach die +letzten Worte laut, und das kleine Geschöpf grunzte zur Antwort (es +hatte mittlerweile aufgehört zu niesen). »Grunze nicht,« sagte Alice; +»es paßt sich gar nicht für dich, dich so auszudrücken.« + +Der Junge grunzte wieder, so daß Alice ihm ganz ängstlich in's Gesicht +sah, was ihm eigentlich fehle. Er hatte ohne Zweifel eine _sehr_ +hervorstehende Nase, eher eine Schnauze als eine wirkliche Nase; auch +seine Augen wurden entsetzlich klein für einen kleinen Jungen: Alles +zusammen genommen, gefiel Alice das Aussehen des Kindes gar nicht. »Aber +vielleicht hat es nur geweint,« dachte sie und sah ihm wieder in die +Augen, ob Thränen da seien. + +Nein, es waren keine Thränen da. »Wenn du ein kleines Ferkel wirst, höre +mal,« sagte Alice sehr ernst, »so will ich nichts mehr mit dir zu +schaffen haben, das merke dir!« Das arme kleine Ding schluchzte (oder +grunzte, es war unmöglich, es zu unterscheiden), und dann gingen sie +eine Weile stillschweigend weiter. + +Alice fing eben an, sich zu überlegen: »Nun, was soll ich mit diesem +Geschöpf anfangen, wenn ich es mit nach Hause bringe?« als es wieder +grunzte, so laut, daß Alice erschrocken nach ihm hinsah. Diesmal konnte +sie sich nicht mehr irren: es war nichts mehr oder weniger als ein +Ferkel, und sie sah, daß es höchst lächerlich für sie wäre, es noch +weiter zu tragen. + +Sie setzte also das kleine Ding hin und war ganz froh, als sie es ruhig +in den Wald traben sah. »Das wäre in einigen Jahren ein furchtbar +häßliches Kind geworden; aber als Ferkel macht es sich recht nett, finde +ich.« Und so dachte sie alle Kinder durch, die sie kannte, die gute +kleine Ferkel abgeben würden, und sagte gerade für sich: »wenn man nur +die rechten Mittel wüßte, sie zu verwandeln --« als sie einen Schreck +bekam; die Grinse-Katze saß nämlich wenige Fuß von ihr auf einem +Baumzweige. + +[Illustration] + +Die Katze grinste nur, als sie Alice sah. »Sie sieht gutmüthig aus,« +dachte diese; aber doch hatte sie _sehr_ lange Krallen und eine Menge +Zähne. Alice fühlte wohl, daß sie sie rücksichtsvoll behandeln müsse. + +»Grinse-Mies,« fing sie etwas ängstlich an, da sie nicht wußte, ob ihr +der Name gefallen würde: jedoch grinste sie noch etwas breiter. »Schön, +so weit gefällt es ihr,« dachte Alice und sprach weiter: »willst du mir +wohl sagen, wenn ich bitten darf, welchen Weg ich hier nehmen muß?« + +»Das hängt zum guten Theil davon ab, wohin du gehen willst,« sagte die +Katze. + +»Es kommt mir nicht darauf an, wohin --« sagte Alice. + +»Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,« sagte die +Katze. + +»-- wenn ich nur _irgendwo_ hinkomme,« fügte Alice als Erklärung hinzu. + +»O, das wirst du ganz gewiß,« sagte die Katze, »wenn du nur lange genug +gehest.« + +Alice sah, daß sie nichts dagegen einwenden konnte; sie versuchte daher +eine andere Frage. »Was für Art Leute wohnen hier in der Nähe?« + +»In _der_ Richtung,« sagte die Katze, die rechte Pfote schwenkend, »wohnt +ein Hutmacher, und in jener Richtung,« die andere Pfote schwenkend, +»wohnt ein Faselhase. Besuche welchen du willst: sie sind beide toll.« + +»Aber ich mag nicht zu tollen Leuten gehen,« bemerkte Alice. + +[Illustration] + +»Oh, das kannst du nicht ändern,« sagte die Katze: »wir sind alle toll +hier. Ich bin toll. Du bist toll.« + +»Woher weißt du, daß ich toll bin?« fragte Alice. + +»Du mußt es sein,« sagte die Katze, »sonst wärest du nicht hergekommen.« + +Alice fand durchaus nicht, daß das ein Beweis sei; sie fragte jedoch +weiter: »Und woher weißt du, daß du toll bist?« + +»Zu allererst,« sagte die Katze, »ein Hund ist nicht toll. Das giebst du +zu?« + +»Zugestanden!« sagte Alice. + +»Nun, gut,« fuhr die Katze fort, »nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er +böse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen +knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich +ärgerlich bin. Daher bin ich toll.« + +»Ich nenne es spinnen, nicht knurren,« sagte Alice. + +»Nenne es, wie du willst,« sagte die Katze. »Spielst du heut Croquet mit +der Königin?« + +»Ich möchte es sehr gern,« sagte Alice, »aber ich bin noch nicht +eingeladen worden.« + +»Du wirst mich dort sehen,« sagte die Katze und verschwand. + +Alice wunderte sich nicht sehr darüber; sie war so daran gewöhnt, daß +sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo +die Katze gesessen hatte, erschien sie plötzlich wieder. + +»Uebrigens, was ist aus dem Jungen geworden?« sagte die Katze. »Ich +hätte beinah vergessen zu fragen.« + +[Illustration] + +»Er ist ein Ferkel geworden,« antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie +wenn die Katze auf gewöhnliche Weise zurückgekommen wäre. + +»Das dachte ich wohl,« sagte die Katze und verschwand wieder. + +Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen +zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in +der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. »Hutmacher habe ich +schon gesehen,« sprach sie zu sich, »der Faselhase wird viel +interessanter sein.« Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saß die +Katze wieder auf einem Baumzweige. »Sagtest du Ferkel oder Fächer?« +fragte sie. »Ich sagte Ferkel,« antwortete Alice, »und es wäre mir sehr +lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden +wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.« + +»Schon gut,« sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam, +wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhörte, das +noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Uebrige verschwunden war. + +»Oho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,« dachte Alice, »aber +ein Grinsen ohne Katze! so etwas Merkwürdiges habe ich in meinem Leben +noch nicht gesehen!« + +Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des +Faselhasen; sie dachte, es müsse das rechte Haus sein, weil die +Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz gedeckt. +Es war ein so großes Haus, daß, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein +wenig von dem Stück Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis +auf zwei Fuß hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam, +für sich sprechend: »Wenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch +lieber zu dem Hutmacher gegangen!« + + + + +Siebentes Kapitel. + +Die tolle Theegesellschaft. + + +Vor dem Hause stand ein gedeckter Theetisch, an welchem der Faselhase +und der Hutmacher saßen; ein Murmelthier saß zwischen ihnen, fest +eingeschlafen, und die beiden Andern benutzten es als Kissen, um ihre +Ellbogen darauf zu stützen, und redeten über seinem Kopfe mit einander. +»Sehr unbequem für das Murmelthier,« dachte Alice; »nun, da es schläft, +wird es sich wohl nichts daraus machen.« + +Der Tisch war groß, aber die Drei saßen dicht zusammengedrängt an einer +Ecke: »Kein Platz! Kein Platz!« riefen sie aus, sobald sie Alice kommen +sahen. »Ueber und über genug Platz!« sagte Alice unwillig und setzte +sich in einen großen Armstuhl am Ende des Tisches. + +»Ist dir etwas Wein gefällig?« nöthigte sie der Faselhase. + +Alice sah sich auf dem ganzen Tische um, aber es war nichts als Thee +darauf. »Ich sehe keinen Wein,« bemerkte sie. + +»Es ist keiner hier,« sagte der Faselhase. + +»Dann war es gar nicht höflich von dir, mir welchen anzubieten,« sagte +Alice ärgerlich. + +»Es war gar nicht höflich von dir, dich ungebeten herzusetzen,« sagte +der Faselhase. + +»Ich wußte nicht, das es _dein_ Tisch ist; er ist für viel mehr als drei +gedeckt.« + +»Dein Haar muß verschnitten werden,« sagte der Hutmacher. Er hatte Alice +eine Zeit lang mit großer Neugierde angesehen, und dies waren seine +ersten Worte. + +»Du solltest keine persönlichen Bemerkungen machen,« sagte Alice mit +einer gewissen Strenge, »es ist sehr grob.« + +Der Hutmacher riß die Augen weit auf, als er dies hörte; aber er sagte +weiter nichts als: »Warum ist ein Rabe wie ein Reitersmann?« + +»Ei, jetzt wird es Spaß geben,« dachte Alice. »Ich bin so froh, daß sie +anfangen Räthsel aufzugeben -- Ich glaube, das kann ich rathen,« fuhr sie +laut fort. + +[Illustration] + +»Meinst du, daß du die Antwort dazu finden kannst?« fragte der +Faselhase. + +»Ja, natürlich,« sagte Alice. + +»Dann solltest du sagen, was du meinst,« sprach der Hase weiter. + +»Das thue ich ja,« warf Alice schnell ein, »wenigstens -- wenigstens +meine ich, was ich sage -- und das ist dasselbe.« + +»Nicht im Geringsten dasselbe!« sagte der Hutmacher. »Wie, du könntest +eben so gut behaupten, daß »ich sehe, was ich esse« dasselbe ist wie +»ich esse, was ich sehe.« + +»Du könntest auch behaupten,« fügte der Faselhase hinzu, »ich mag, was +ich kriege« sei dasselbe wie »ich kriege, was ich mag!« + +»Du könntest eben so gut behaupten,« fiel das Murmelthier ein, das im +Schlafe zu sprechen schien, »ich athme, wenn ich schlafe« sei dasselbe +wie »ich schlafe, wenn ich athme!« + +»Es _ist_ dasselbe bei dir,« sagte der Hutmacher, und damit endigte die +Unterhaltung, und die Gesellschaft saß einige Minuten schweigend, +während Alice Alles durchdachte, was sie je von Raben und Reitersmännern +gehört hatte, und das war nicht viel. + +Der Hutmacher brach das Schweigen zuerst. »Den wievielsten haben wir +heute?« sagte er, sich an Alice wendend; er hatte seine Uhr aus der +Tasche genommen, sah sie unruhig an, schüttelte sie hin und her und +hielt sie an's Ohr. + +Alice besann sich ein wenig und sagte: »Den vierten.« + +»Zwei Tage falsch!« seufzte der Hutmacher. »Ich sagte dir ja, daß Butter +das Werk verderben würde,« setzte er hinzu, indem er den Hasen ärgerlich +ansah. + +»Es war die beste Butter,« sagte der Faselhase demüthig. + +»Ja, aber es muß etwas Krume mit hinein gerathen sein,« brummte der +Hutmacher; »du hättest sie nicht mit dem Brodmesser hinein thun sollen.« + +Der Faselhase nahm die Uhr und betrachtete sie trübselig; dann tunkte er +sie in seine Tasse Thee und betrachtete sie wieder, aber es fiel ihm +nichts Besseres ein, als seine erste Bemerkung: »Es war wirklich die +beste Butter.« + +Alice hatte ihm neugierig über die Schulter gesehen. »Was für eine +komische Uhr!« sagte sie. »Sie zeigt das Datum, und nicht wie viel Uhr +es ist!« + +»Warum sollte sie?« brummte der Hase; »zeigt deine Uhr, welches Jahr es +ist?« + +»Natürlich nicht,« antwortete Alice schnell, »weil es so lange +hintereinander dasselbe Jahr bleibt.« + +»Und so ist es gerade mit meiner,« sagte der Hutmacher. + +Alice war ganz verwirrt. Die Erklärung des Hutmachers schien ihr gar +keinen Sinn zu haben, und doch waren es deutlich gesprochne Worte. »Ich +verstehe dich nicht ganz,« sagte sie, so höflich sie konnte. + +»Das Murmelthier schläft schon wieder,« sagte der Hutmacher, und goß ihm +etwas heißen Thee auf die Nase. + +Das Murmelthier schüttelte ungeduldig den Kopf und sagte, ohne die Augen +aufzuthun: »Freilich, freilich, das wollte ich eben auch bemerken.« + +»Hast du das Räthsel schon gerathen?« wandte sich der Hutmacher an +Alice. + +»Nein, ich gebe es auf,« antwortete Alice; »was ist die Antwort?« + +»Davon habe ich nicht die leiseste Ahnung,« sagte der Hutmacher. + +»Ich auch nicht,« sagte der Faselhase. + +Alice seufzte verstimmt. »Ich dächte, ihr könntet die Zeit besser +anwenden,« sagte sie, »als mit Räthseln, die keine Auflösung haben.« + +»Wenn du die Zeit so gut kenntest wie ich,« sagte der Hutmacher, +»würdest du nicht davon reden, wie wir sie anwenden, sondern wie sie uns +anwendet.« + +»Ich weiß nicht, was du meinst,« sagte Alice. + +»Natürlich kannst du das nicht wissen!« sagte der Hutmacher, indem er +den Kopf verächtlich in die Höhe warf. »Du hast wahrscheinlich nie mit +der Zeit gesprochen.« + +»Ich glaube kaum,« erwiederte Alice vorsichtig; »aber Mama sagte +gestern, ich sollte zu meiner kleinen Schwester gehen und ihr die Zeit +vertreiben.« + +»So? das wird sie dir schön übel genommen haben; sie läßt sich nicht +gern vertreiben. Aber wenn man gut mit ihr steht, so thut sie Einem +beinah Alles zu Gefallen mit der Uhr. Zum Beispiel, nimm den Fall, es +wäre 9 Uhr Morgens, gerade Zeit, deine Stunden anzufangen, du brauchtest +der Zeit nur den kleinsten Wink zu geben, schnurr! geht die Uhr herum, +ehe du dich's versiehst! halb Zwei, Essenszeit!« + +(»Ich wünschte, das wäre es!« sagte der Faselhase leise für sich.) + +»Das wäre wirklich famos,« sagte Alice gedankenvoll, »aber dann würde +ich nicht hungrig genug sein, nicht wahr?« + +»Zuerst vielleicht nicht,« antwortete der Hutmacher, »aber es würde so +lange halb Zwei bleiben, wie du wolltest.« + +»So macht ihr es wohl hier?« fragte Alice. + +Der Hutmacher schüttelte traurig den Kopf. »Ich nicht!« sprach er. »Wir +haben uns vorige Ostern entzweit -- kurz ehe er toll wurde, du weißt +doch (mit seinem Theelöffel auf den Faselhasen zeigend) -- es war in dem +großen Concert, das die Coeur-Königin gab; ich mußte singen: + +[Illustration] + + »O Papagei, o Papagei! + Wie grün sind deine Federn!« + +Vielleicht kennst du das Lied?« + +»Ich habe etwas dergleichen gehört,« sage Alice. + +»Es geht weiter,« fuhr der Hutmacher fort: + + »Du grünst nicht nur zur Friedenszeit, + Auch wenn es Teller und Töpfe schneit. + O Papagei, o Papagei --« + +Hier schüttelte sich das Murmelthier und fing an im Schlaf zu singen: »O +Papagei, o Mamagei, o Papagei, o Mamagei --« in einem fort, so daß sie +es zuletzt kneifen mußten, damit es nur aufhöre. + +»Denke dir, ich hatte kaum den ersten Vers fertig,« sagte der Hutmacher, +»als die Königin ausrief: Abscheulich! der Mensch schlägt geradezu die +Zeit todt mit seinem Geplärre. Aufgehängt soll er werden!« + +»Wie furchtbar grausam!« rief Alice. + +»Und seitdem,« sprach der Hutmacher traurig weiter, »hat sie mir nie +etwas zu Gefallen thun wollen, die Zeit! Es ist nun immer sechs Uhr!« + +Dies brachte Alice auf einen klugen Gedanken. »Darum sind wohl so viele +Tassen hier herumgestellt?« fragte sie. + +»Ja, darum,« sagte der Hutmacher mit einem Seufzer, »es ist immer +Theestunde, und wir haben keine Zeit, die Tassen dazwischen +aufzuwaschen.« + +»Dann rückt ihr wohl herum?« sagte Alice. + +»So ist es,« sagte der Hutmacher, »wenn die Tassen genug gebraucht +sind.« + +»Aber wenn ihr wieder an den Anfang kommt?« unterstand sich Alice zu +fragen. + +»Wir wollen jetzt von etwas Anderem reden,« unterbrach sie der Faselhase +gähnend, »dieser Gegenstand ist mir nachgerade langweilig. Ich schlage +vor, die junge Dame erzählt eine Geschichte.« + +»O, ich weiß leider keine,« rief Alice, ganz bestürzt über diese +Zumuthung. + +»Dann soll das Murmelthier erzählen!« riefen beide; »wache auf, +Murmelthier!« dabei kniffen sie es von beiden Seiten zugleich. + +Das Murmelthier machte langsam die Augen auf. »Ich habe nicht +geschlafen,« sagte es mit heiserer, schwacher Stimme, »ich habe jedes +Wort gehört, das ihr Jungen gesagt habt.« + +»Erzähle uns eine Geschichte!« sagte der Faselhase. + +»Ach ja, sei so gut!« bat Alice. + +»Und mach schnell,« fügte der Hutmacher hinzu, »sonst schläfst du ein, +ehe sie zu Ende ist.« + +»Es waren einmal drei kleine Schwestern,« fing das Murmelthier eilig an, +»die hießen Else, Lacie und Tillie, und sie lebten tief unten in einem +Brunnen --« + +»Wovon lebten sie?« fragte Alice, die sich immer für Essen und Trinken +sehr interessirte. + +»Sie lebten von Syrup,« versetzte das Murmelthier, nachdem es sich eine +Minute besonnen hatte. + +»Das konnten sie ja aber nicht,« bemerkte Alice schüchtern, »da wären +sie ja krank geworden.« + +»Das wurden sie auch,« sagte das Murmelthier, »sehr krank.« + +Alice versuchte es sich vorzustellen, wie eine so außergewöhnliche Art +zu leben wohl sein möchte; aber es kam ihr zu kurios vor, sie mußte +wieder fragen: »Aber warum lebten sie unten in dem Brunnen?« + +»Willst du nicht ein wenig mehr Thee?« sagte der Faselhase sehr +ernsthaft zu Alice. + +»Ein wenig mehr? ich habe noch keinen gehabt,« antwortete Alice etwas +empfindlich, »also kann ich nicht noch _mehr_ trinken.« + +»Du meinst, du kannst nicht _weniger_ trinken,« sagte der Hutmacher: »es +ist sehr leicht, _mehr_ als keinen zu trinken.« + +»Niemand hat dich um deine Meinung gefragt,« sagte Alice. + +»Wer macht denn nun persönliche Bemerkungen?« rief der Hutmacher +triumphirend. + +Alice wußte nicht recht, was sie darauf antworten sollte; sie nahm sich +daher etwas Thee und Butterbrot, und dann wandte sie sich an das +Murmelthier und wiederholte ihre Frage: »Warum lebten sie in einem +Brunnen?« + +Das Murmelthier besann sich einen Augenblick und sagte dann: »Es war ein +Syrup-Brunnen.« + +»Den giebt es nicht!« fing Alice sehr ärgerlich an; aber der Hutmacher +und Faselhase machten beide: »Sch, sch!« und das Murmelthier bemerkte +brummend: »Wenn du nicht höflich sein kannst, kannst du die Geschichte +selber auserzählen.« + +»Nein, bitte, erzähle weiter!« sagte Alice ganz bescheiden; »ich will +dich nicht wieder unterbrechen. Es wird wohl _einen_ geben.« + +»_Einen_, wirklich!« sagte das Murmelthier entrüstet. Doch ließ es sich +zum Weitererzählen bewegen. »Also die drei kleinen Schwestern -- sie +lernten zeichnen, müßt ihr wissen --« + +»Was zeichneten sie?« sagte Alice, ihr Versprechen ganz vergessend. + +»Syrup,« sagte das Murmelthier, diesmal ganz ohne zu überlegen. + +»Ich brauche eine reine Tasse,« unterbrach der Hutmacher, »wir wollen +Alle einen Platz rücken.« + +Er rückte, wie er das sagte, und das Murmelthier folgte ihm; der +Faselhase rückte an den Platz des Murmelthiers, und Alice nahm, obgleich +etwas ungern, den Platz des Faselhasen ein. Der Hutmacher war der +Einzige, der Vortheil von diesem Wechsel hatte, und Alice hatte es viel +schlimmer als zuvor, da der Faselhase eben den Milchtopf über seinen +Teller umgestoßen hatte. + +Alice wollte das Murmelthier nicht wieder beleidigen und fing daher sehr +vorsichtig an: »Aber ich verstehe nicht. Wie konnten sie den Syrup +zeichnen?« + +»Als ob nicht aller Syrup gezeichnet wäre, den man vom Kaufmann holt,« +sagte der Hutmacher; »hast du nicht immer darauf gesehen: feinste +Qualität, allerfeinste Qualität, superfeine Qualität -- oh, du kleiner +Dummkopf?« + +»Wie gesagt,« fuhr das Murmelthier fort, »lernten sie zeichnen;« hier +gähnte es und rieb sich die Augen, denn es fing an, sehr schläfrig zu +werden; »und sie zeichneten Allerlei -- Alles was mit M. anfängt --« + +»Warum mit M?« fragte Alice. + +»Warum nicht?« sagte der Faselhase. + +Alice war still. + +Das Murmelthier hatte mittlerweile die Augen zugemacht, und war halb +eingeschlafen; da aber der Hutmacher es zwickte, wachte es mit einem +leisen Schrei auf und sprach weiter: -- »was mit M anfängt, wie +Mausefallen, den Mond, Mangel und manches Mal -- ihr wißt, man sagt: ich +habe das _manches liebe_ Mal gethan -- hast du je manches liebe _Mal_ +gezeichnet gesehen?« + +»Wirklich, da du mich selbst fragst,« sagte Alice ganz verwirrt, »ich +denke kaum --« + +»Dann solltest du auch nicht reden,« sagte der Hutmacher. + +Dies war nachgerade zu grob für Alice: sie stand ganz beleidigt auf und +ging fort; das Murmelthier schlief augenblicklich wieder ein, und die +beiden Andern beachteten ihr Fortgehen nicht, obgleich sie sich ein paar +Mal umsah, halb in der Hoffnung, daß sie sie zurückrufen würden. Als sie +sie zuletzt sah, versuchten sie das Murmelthier in die Theekanne zu +stecken. + +»Auf keinen Fall will ich _da_ je wieder hingehen!« sagte Alice, während +sie sich einen Weg durch den Wald suchte. »Es ist die dümmste +Theegesellschaft, in der ich in meinem ganzen Leben war!« + +[Illustration] + +Gerade wie sie so sprach, bemerkte sie, daß einer der Bäume eine kleine +Thür hatte. »Das ist höchst komisch!« dachte sie. »Aber Alles ist heute +komisch! Ich will lieber gleich hinein gehen.« + +Wie gesagt, so gethan: und sie befand sich wieder in dem langen +Corridor, und dicht bei dem kleinen Glastische. »Diesmal will ich es +gescheidter anfangen,« sagte sie zu sich selbst, nahm das goldne +Schlüsselchen und schloß die Thür auf, die in den Garten führte. Sie +machte sich daran, an dem Pilz zu knabbern (sie hatte ein Stückchen in +ihrer Tasche behalten), bis sie ungefähr einen Fuß hoch war, dann ging +sie den kleinen Gang hinunter; und dann -- war sie endlich in dem +schönen Garten, unter den prunkenden Blumenbeeten und kühlen +Springbrunnen. + + + + +Achtes Kapitel. + +Das Croquetfeld der Königin. + + +Ein großer hochstämmiger Rosenstrauch stand nahe bei'm Eingang; die +Rosen, die darauf wuchsen, waren weiß, aber drei Gärtner waren damit +beschäftigt, sie roth zu malen. Alice kam dies wunderbar vor, und da sie +näher hinzutrat, um ihnen zuzusehen, hörte sie einen von ihnen sagen: +»Nimm dich in Acht, Fünf! Bespritze mich nicht so mit Farbe!« + +»Ich konnte nicht dafür,« sagte Fünf in verdrießlichem Tone; »Sieben hat +mich an den Ellbogen gestoßen.« + +Worauf Sieben aufsah und sagte: »Recht so, Fünf! Schiebe immer die +Schuld auf andre Leute!« + +»Du sei nur ganz still!« sagte Fünf. »Gestern erst hörte ich die Königin +sagen, du verdientest geköpft zu werden!« + +»Wofür?« fragte der, welcher zuerst gesprochen hatte. + +»Das geht _dich_ nichts an, Zwei!« sagte Sieben. + +»Ja, es _geht_ ihn an!« sagte Fünf, »und ich werde es ihm sagen -- dafür, +daß er dem Koch Tulpenzwiebeln statt Küchenzwiebeln gebracht hat.« + +[Illustration] + +Sieben warf seinen Pinsel hin und hatte eben angefangen: »Ist je eine +ungerechtere Anschuldigung --« als sein Auge zufällig auf Alice fiel, +die ihnen zuhörte; er hielt plötzlich inne, die andern sahen sich auch +um, und sie verbeugten sich Alle tief. + +»Wollen Sie so gut sein, mir zu sagen,« sprach Alice etwas furchtsam, +»warum Sie diese Rosen malen?« + +Fünf und Sieben antworteten nichts, sahen aber Zwei an. Zwei fing mit +leiser Stimme an: »Die Wahrheit zu gestehen, Fräulein, dies hätte hier +ein _rother_ Rosenstrauch sein sollen, und wir haben aus Versehen einen +weißen gepflanzt, und wenn die Königin es gewahr würde, würden wir Alle +geköpft werden, müssen Sie wissen. So, sehen Sie Fräulein, versuchen +wir, so gut es geht, ehe sie kommt --« In dem Augenblick rief Fünf, der +ängstlich tiefer in den Garten hinein gesehen hatte: »Die Königin! die +Königin!« und die drei Gärtner warfen sich sogleich flach auf's Gesicht. +Es entstand ein Geräusch von vielen Schritten, und Alice blickte +neugierig hin, die Königin zu sehen. + +Zuerst kamen zehn Soldaten, mit Keulen bewaffnet, sie hatten alle +dieselbe Gestalt wie die Gärtner, rechteckig und flach, und an den vier +Ecken die Hände und Füße; danach kamen zehn Herren vom Hofe, sie waren +über und über mit Diamanten bedeckt und gingen paarweise, wie die +Soldaten. Nach diesen kamen die königlichen Kinder, es waren ihrer zehn, +und die lieben Kleinen kamen lustig gesprungen Hand in Hand, paarweise, +sie waren ganz mit Herzen geschmückt. Darauf kamen die Gäste, meist +Könige und Königinnen, und unter ihnen erkannte Alice das weiße +Kaninchen; es unterhielt sich in etwas eiliger und aufgeregter Weise, +lächelte bei Allem, was gesagt wurde und ging vorbei, ohne sie zu +bemerken. Darauf folgte der Coeur-Bube, der die königliche Krone auf +einem rothen Sammetkissen trug, und zuletzt in diesem großartigen Zuge +kamen _der Herzenskönig und die Herzenskönigin_. + +Alice wußte nicht recht, ob sie sich nicht flach auf's Gesicht legen +müsse, wie die drei Gärtner; aber sie konnte sich nicht erinnern, je von +einer solchen Sitte bei Festzügen gehört zu haben. »Und außerdem, wozu +gäbe es überhaupt Aufzüge,« dachte sie, »wenn alle Leute flach auf dem +Gesichte liegen müßten, so daß sie sie nicht sehen könnten?« Sie blieb +also stehen, wo sie war, und wartete. + +Als der Zug bei ihr angekommen war, blieben Alle stehen und sahen sie +an, und die Königin sagte strenge: »Wer ist das?« Sie hatte den +Coeur-Buben gefragt, der statt aller Antwort nur lächelte und Kratzfüße +machte. + +»Schafskopf!« sagte die Königin, den Kopf ungeduldig zurückwerfend; und +zu Alice gewandt fuhr sie fort: »Wie heißt du, Kind?« + +[Illustration] + +»Mein Name ist Alice, Euer Majestät zu dienen!« sagte Alice sehr +höflich; aber sie dachte bei sich: »Ach was, es ist ja nur ein Pack +Karten. Ich brauche mich nicht vor ihnen zu fürchten!« + +»Und wer sind diese drei?« fuhr die Königin fort, indem sie auf die drei +Gärtner zeigte, die um den Rosenstrauch lagen; denn natürlich, da sie +auf dem Gesichte lagen und das Muster auf ihrer Rückseite dasselbe war +wie für das ganze Pack, so konnte sie nicht wissen, ob es Gärtner oder +Soldaten oder Herren vom Hofe oder drei von ihren eigenen Kindern waren. + +»Woher soll ich das wissen?« sagte Alice, indem sie sich selbst über +ihren Muth wunderte. »Es ist nicht meines Amtes.« + +Die Königin wurde purpurroth vor Wuth, und nachdem sie sie einen +Augenblick wie ein wildes Thier angestarrt hatte, fing sie an zu +brüllen: »Ihren Kopf ab! ihren Kopf --« + +»Unsinn!« sagte Alice sehr laut und bestimmt, und die Königin war still. + +Der König legte seine Hand auf ihren Arm und sagte milde: »Bedenke, +meine Liebe, es ist nur ein Kind!« + +Die Königin wandte sich ärgerlich von ihm ab und sagte zu dem Buben: +»Dreh' sie um!« + +Der Bube that es, sehr sorgfältig, mit einem Fuße. + +»Steht auf!« schrie die Königin mit durchdringender Stimme, und die drei +Gärtner sprangen sogleich auf und fingen an sich zu verneigen vor dem +König, der Königin, den königlichen Kindern, und Jedermann. + +»Laßt das sein!« eiferte die Königin. »Ihr macht mich schwindlig.« Und +dann, sich nach dem Rosenstrauch umdrehend, fuhr sie fort: »Was habt ihr +hier gethan?« + +»Euer Majestät zu dienen,« sagte Zwei in sehr demüthigem Tone und sich +auf ein Knie niederlassend, »wir haben versucht --« + +»Ich sehe!« sagte die Königin, die unterdessen die Rosen untersucht +hatte. »Ihre Köpfe ab!« und der Zug bewegte sich fort, während drei von +den Soldaten zurückblieben um die unglücklichen Gärtner zu enthaupten, +welche zu Alice liefen und sie um Schutz baten. + +»Ihr sollt nicht getödtet werden!« sagte Alice, und damit steckte sie +sie in einen großen Blumentopf, der in der Nähe stand. Die drei Soldaten +gingen ein Weilchen hier- und dorthin, um sie zu suchen, und dann +schlossen sie sich ruhig wieder den Andern an. + +»Sind ihre Köpfe gefallen?« schrie die Königin sie an. + +»Ihre Köpfe sind fort, zu Euer Majestät Befehl!« schrien die Soldaten +als Antwort. + +»Das ist gut!« schrie die Königin. »Kannst du Croquet spielen?« + +Die Soldaten waren still und sahen Alice an, da die Frage +augenscheinlich an sie gerichtet war. + +»Ja!« schrie Alice. + +»Dann komm mit!« brüllte die Königin, und Alice schloß sich dem Zuge an, +sehr neugierig, was nun geschehen werde. + +»Es ist -- es ist ein sehr schöner Tag!« sagte eine schüchterne Stimme +neben ihr. Sie ging neben dem weißen Kaninchen, das ihr ängstlich in's +Gesicht sah. + +»Sehr,« sagte Alice; -- »wo ist die Herzogin?« + +»Still! still!« sagte das Kaninchen in einem leisen, schnellen Tone. Es +sah dabei ängstlich über seine Schulter, stellte sich dann auf die +Zehen, hielt den Mund dicht an Alice's Ohr und wisperte: »Sie ist zum +Tode verurtheilt.« + +»Wofür?« fragte diese. + +»Sagtest du: wie Schade?« fragte das Kaninchen. + +»Nein, das sagte ich nicht,« sagte Alice, »ich finde gar nicht, daß es +Schade ist. Ich sagte: wofür?« + +»Sie hat der Königin eine Ohrfeige gegeben --« fing das Kaninchen an. +Alice lachte hörbar. »Oh still!« flüsterte das Kaninchen in sehr +erschreckten Tone. »Die Königin wird dich hören! Sie kam nämlich etwas +spät, und die Königin sagte --« + +»Macht, daß ihr an eure Plätze kommt!« donnerte die Königin, und Alle +fingen an in allen Richtungen durcheinander zu laufen, wobei sie Einer +über den Andern stolperten; jedoch nach ein bis zwei Minuten waren sie +in Ordnung, und das Spiel fing an. + +[Illustration] + +Alice dachte bei sich, ein so merkwürdiges Croquet-Feld habe sie in +ihrem Leben nicht gesehen; es war voller Erhöhungen und Furchen, die +Kugeln waren lebendige Igel, und die Schlägel lebendige Flamingos, und +die Soldaten mußten sich umbiegen und auf Händen und Füßen stehen, um +die Bogen zu bilden. + +Die Hauptschwierigkeit, die Alice zuerst fand, war, den Flamingo zu +handhaben; sie konnte zwar ziemlich bequem seinen Körper unter ihrem +Arme festhalten, so daß die Füße herunterhingen, aber wenn sie eben +seinen Hals schön ausgestreckt hatte, und dem Igel nun einen Schlag mit +seinem Kopf geben wollte, so richtete er sich auf und sah ihr mit einem +so verdutzten Ausdruck in's Gesicht, daß sie sich nicht enthalten konnte +laut zu lachen. Wenn sie nun seinen Kopf herunter gebogen hatte und eben +wieder anfangen wollte zu spielen, so fand sie zu ihrem großen Verdruß, +daß der Igel sich aufgerollt hatte und eben fortkroch; außerdem war +gewöhnlich eine Erhöhung oder eine Furche gerade da im Wege, wo sie den +Igel hinrollen wollte, und da die umgebogenen Soldaten fortwährend +aufstanden und an eine andere Stelle des Grasplatzes gingen, so kam +Alice bald zu der Ueberzeugung, daß es wirklich ein sehr schweres Spiel +sei. + +Die Spieler spielten Alle zugleich, ohne zu warten, bis sie an der Reihe +waren; dabei stritten sie sich immerfort und zankten um die Igel, und in +sehr kurzer Zeit war die Königin in der heftigsten Wuth, stampfte mit +den Füßen und schrie: »Schlagt ihr den Kopf ab!« ungefähr ein Mal jede +Minute. + +Alice fing an, sich sehr unbehaglich zu fühlen, sie hatte zwar noch +keinen Streit mit der Königin gehabt, aber sie wußte, daß sie keinen +Augenblick sicher davor war, »und was,« dachte sie, »würde dann aus mir +werden? die Leute hier scheinen schrecklich gern zu köpfen; es ist das +größte Wunder, daß überhaupt noch welche am Leben geblieben sind!« Sie +sah sich nach einem Ausgange um und überlegte, ob sie sich wohl ohne +gesehen zu werden, fortschleichen könne, als sie eine merkwürdige +Erscheinung in der Luft wahrnahm: sie schien ihr zuerst ganz +räthselhaft, aber nachdem sie sie ein Paar Minuten beobachtet hatte, +erkannte sie, daß es ein Grinsen war, und sagte bei sich: »Es ist die +Grinse-Katze; jetzt werde ich Jemand haben, mit dem ich sprechen kann.« + +»Wie geht es dir?« sagte die Katze, sobald Mund genug da war, um damit +zu sprechen. + +Alice wartete, bis die Augen erschienen, und nickte ihr zu. »Es nützt +nichts mit ihr zu reden,« dachte sie, »bis ihre Ohren gekommen sind, +oder wenigstens eins.« Den nächsten Augenblick erschien der ganze Kopf; +da setzte Alice ihren Flamingo nieder und fing ihren Bericht von dem +Spiele an, sehr froh, daß sie Jemand zum Zuhören hatte. Die Katze +schien zu glauben, daß jetzt genug von ihr sichtbar sei, und es erschien +weiter nichts. + +»Ich glaube, sie spielen gar nicht gerecht,« fing Alice in etwas +klagendem Tone an, »und sie zanken sich Alle so entsetzlich, daß man +sein eigenes Wort nicht hören kann -- und dann haben sie gar keine +Spielregeln, wenigstens wenn sie welche haben, so beobachtet sie Niemand +-- und du hast keine Idee, wie es Einen verwirrt, daß alle +Croquet-Sachen lebendig sind; zum Beispiel da ist der Bogen, durch den +ich das nächste Mal spielen muß, und geht am andern Ende des Grasplatzes +spazieren -- und ich hätte den Igel der Königin noch eben _treffen_ +können, nur daß er fortrannte, als er meinen kommen sah!« + +»Wie gefällt dir die Königin?« fragte die Katze leise. + +»Ganz und gar nicht,« sagte Alice, »sie hat so sehr viel --« da bemerkte +sie eben, daß die Königin dicht hinter ihr war und zuhörte, also setzte +sie hinzu: »Aussicht zu gewinnen, daß es kaum der Mühe werth ist, das +Spiel auszuspielen.« + +Die Königin lächelte und ging weiter. + +»Mit wem redest du da?« sagte der König, indem er an Alice herantrat +und mit großer Neugierde den Katzenkopf ansah. + +»Es ist einer meiner Freunde -- ein Grinse-Kater,« sagte Alice; +»erlauben Eure Majestät, daß ich ihn Ihnen vorstelle.« + +»Sein Aussehen gefällt mir gar nicht,« sagte der König; »er mag mir +jedoch die Hand küssen, wenn er will.« + +»O, lieber nicht!« versetzte der Kater. + +»Sei nicht so impertinent,« sagte der König, »und sieh mich nicht so +an!« Er stellte sich hinter Alice, als er dies sagte. + +»Der Kater sieht den König an, der König sieht den Kater an,« sagte +Alice, »das habe ich irgendwo gelesen, ich weiß nur nicht mehr wo.« + +»Fort muß er,« sagte der König sehr entschieden, und rief der Königin +zu, die gerade vorbeiging: »Meine Liebe! ich wollte, du ließest diesen +Kater fortschaffen!« + +Die Königin kannte nur _eine_ Art, alle Schwierigkeiten, große und kleine, +zu beseitigen. »Schlagt ihm den Kopf ab!« sagte sie, ohne sich einmal +umzusehen. + +»Ich werde den Henker selbst holen,« sagte der König eifrig und eilte +fort. + +Alice dachte, sie wollte lieber zurück gehen und sehen, wie es mit dem +Spiele stehe, da sie in der Entfernung die Stimme der Königin hörte, die +vor Wuth außer sich war. Sie hatte sie schon drei Spieler zum Tode +verurtheilen hören, weil sie ihre Reihe verfehlt hatten, und der Stand +der Dinge behagte ihr gar nicht, da das Spiel in solcher Verwirrung war, +daß sie nie wußte, ob sie an der Reihe sei oder nicht. Sie ging also, +sich nach ihrem Igel umzusehen. + +Der Igel war im Kampfe mit einem andern Igel, was Alice eine +vortreffliche Gelegenheit schien, einen mit dem andern zu _treffen_; die +einzige Schwierigkeit war, daß ihr Flamingo nach dem andern Ende des +Gartens gegangen war, wo Alice eben sehen konnte, wie er höchst +ungeschickt versuchte, auf einen Baum zu fliegen. + +Als sie den Flamingo gefangen und zurückgebracht hatte, war der Kampf +vorüber und die beiden Igel nirgends zu sehen. »Aber es kommt nicht +drauf an,« dachte Alice, »da alle Bogen auf dieser Seite des Grasplatzes +fortgegangen sind.« Sie steckte also ihren Flamingo unter den Arm, damit +er nicht wieder fortliefe, und ging zurück, um mit ihrem Freunde weiter +zu schwatzen. + +Als sie zum Cheshire-Kater zurück kam, war sie sehr erstaunt, einen +großen Auflauf um ihn versammelt zu sehen: es fand ein großer +Wortwechsel statt zwischen dem Henker, dem Könige und der Königin, +welche alle drei zugleich sprachen, während die Uebrigen ganz still +waren und sehr ängstlich aussahen. + +Sobald Alice erschien, wurde sie von allen dreien aufgefordert, den +streitigen Punkt zu entscheiden, und sie wiederholten ihr ihre +Beweisgründe, obgleich, da alle zugleich sprachen, man kaum verstehen +konnte, was jeder Einzelne sagte. + +[Illustration] + +Der Henker behauptete, daß man keinen Kopf abschneiden könne, wo kein +Körper sei, von dem man ihn abschneiden könne; daß er so etwas noch nie +gethan habe, und jetzt über die Jahre hinaus sei, wo man etwas Neues +lerne. + +Der König behauptete, daß Alles, was einen Kopf habe, geköpft werden +könne, und daß man nicht so viel Unsinn schwatzen solle. + +Die Königin behauptete, daß wenn nicht in weniger als keiner Frist etwas +geschehe, sie die ganze Gesellschaft würde köpfen lassen. (Diese +letztere Bemerkung hatte der Versammlung ein so ernstes und ängstliches +Aussehen gegeben.) + +Alice wußte nichts Besseres zu sagen als: "Er gehört der Herzogin, es +wäre am besten sie zu fragen." + +"Sie ist im Gefängnis," sagte die Königin zum Henker, "hole sie her." +Und der Henker lief davon wie ein Pfeil. + +Da wurde der Kopf des Katers undeutlicher und undeutlicher; und gerade +in dem Augenblicke, als der Henker mit der Herzogin zurück kam, +verschwand er gänzlich; der König und der Henker liefen ganz wild umher, +ihn zu suchen, während die übrige Gesellschaft zum Spiele zurückging. + + + + +Neuntes Kapitel. + +Die Geschichte der falschen Schildkröte. + + +»Du kannst dir gar nicht denken, wie froh ich bin, dich wieder zu sehen, +du liebes altes Herz!« sagte die Herzogin, indem sie Alice liebevoll +unterfaßte, und beide zusammen fortspazierten. + +Alice war sehr froh, sie bei so guter Laune zu finden, und dachte bei +sich, es wäre vielleicht nur der Pfeffer, der sie so böse gemacht habe, +als sie sich zuerst in der Küche trafen. »Wenn ich Herzogin bin,« sagte +sie für sich (doch nicht in sehr hoffnungsvollem Tone), »will ich gar +keinen Pfeffer in meiner Küche dulden. Suppe schmeckt sehr gut ohne -- +Am Ende ist es immer Pfeffer, der die Leute heftig macht,« sprach sie +weiter, sehr glücklich, eine neue Art Regel erfunden zu haben, »und +Essig, der sie sauertöpfisch macht -- und Kamillenthee, der sie bitter +macht -- und Gerstenzucker und dergleichen, was Kinder zuckersüß macht. +Ich wünschte nur, die großen Leute wüßten das, dann würden sie nicht so +sparsam damit sein --« + +Sie hatte unterdessen die Herzogin ganz vergessen und schrak förmlich +zusammen, als sie deren Stimme dicht an ihrem Ohre hörte. »Du denkst an +etwas, meine Liebe, und vergißt darüber zu sprechen. Ich kann dir diesen +Augenblick nicht sagen, was die Moral davon ist, aber es wird mir gleich +einfallen.« + +»Vielleicht hat es keine,« hatte Alice den Muth zu sagen. + +»Still, still, Kind!« sagte die Herzogin. »Alles hat seine Moral, wenn +man sie nur finden kann.« Dabei drängte sie sich dichter an Alice heran. + +Alice mochte es durchaus nicht gern, daß sie ihr so nahe kam: erstens, +weil die Herzogin sehr häßlich war, und zweitens, weil sie gerade groß +genug war, um ihr Kinn auf Alice's Schulter zu stützen, und es war ein +unangenehm spitzes Kinn. Da sie aber nicht gern unhöflich sein wollte, +so ertrug sie es, so gut sie konnte. + +»Das Spiel ist jetzt besser im Gange,« sagte sie, um die Unterhaltung +fortzuführen. + +[Illustration] + +»So ist es,« sagte die Herzogin, »und die Moral davon ist -- Mit Liebe +und Gesange hält man die Welt im Gange!« + +»Wer sagte denn,« flüsterte Alice, »es geschehe dadurch, daß Jeder vor +seiner Thüre fege.« + +»Ah, sehr gut, das bedeutet ungefähr dasselbe,« sagte die Herzogin, und +indem sie ihr spitzes kleines Kinn in Alice's Schulter einbohrte, fügte +sie hinzu »und die Moral _davon_ ist -- So viel Köpfe, so viel Sinne.« + +»Wie gern sie die Moral von Allem findet!« dachte Alice bei sich. + +»Du wunderst dich wahrscheinlich, warum ich meinen Arm nicht um deinen +Hals lege,« sagte die Herzogin nach einer Pause; »die Wahrheit zu +gestehen, ich traue der Laune deines Flamingos nicht ganz. Soll ich es +versuchen?« + +»Er könnte beißen,« erwiderte Alice weislich, da sie sich keineswegs +danach sehnte, das Experiment zu versuchen. + +»Sehr wahr,« sagte die Herzogin, »Flamingos und Senf beißen beide. Und +die Moral davon ist: Gleich und Gleich gesellt sich gern.« + +»Aber der Flamingo ist ja ein Vogel und Senf ist kein Vogel,« wandte +Alice ein. + +»Ganz recht, wie immer,« sagte die Herzogin, »wie deutlich du Alles +ausdrücken kannst.« + +»Es ist, glaube ich, ein Mineral,« sagte Alice. + +»Versteht sich,« sagte die Herzogin, die Allem, was Alice sagte, +beizustimmen schien, »in dem großen Senf-Bergwerk hier in der Gegend +sind ganz vorzüglich gute Minen. Und die Moral davon ist, daß wir gute +Miene zum bösen Spiel machen müssen.« + +»O, ich weiß!« rief Alice aus, die die letzte Bemerkung ganz überhört +hatte, »es ist eine Pflanze. Es sieht nicht so aus, aber es ist eine.« + +»Ich stimme dir vollkommen bei,« sagte die Herzogin, »und die Moral +davon ist: Sei was du zu scheinen wünschest! -- oder einfacher +ausgedrückt: Bilde dir nie ein verschieden von dem zu sein was Anderen +erscheint daß was du warest oder gewesen sein möchtest nicht verschieden +von dem war daß was du gewesen warest ihnen erschienen wäre als wäre es +verschieden.« + +»Ich glaube, ich würde das besser verstehen,« sagte Alice sehr höflich, +»wenn ich es aufgeschrieben hätte; ich kann nicht ganz folgen, wenn Sie +es sagen.« + +»Das ist noch gar nichts dagegen, was ich sagen könnte, wenn ich +wollte,« antwortete die Herzogin in selbstzufriedenem Tone. + +»Bitte, bemühen Sie sich nicht, es noch länger zu sagen!« sagte Alice. + +»O, sprich nicht von Mühe!« sagte die Herzogin, »ich will dir Alles, was +ich bis jetzt gesagt habe, schenken.« + +»Eine wohlfeile Art Geschenke!« dachte Alice, »ich bin froh, daß man +nicht solche Geburtstagsgeschenke macht!« Aber sie getraute sich nicht, +es laut zu sagen. + +»Wieder in Gedanken?« fragte die Herzogin und grub ihr spitzes kleines +Kinn tiefer ein. + +»Ich habe das Recht, in Gedanken zu sein, wenn ich will,« sagte Alice +gereizt, denn die Unterhaltung fing an, ihr langweilig zu werden. + +»Gerade so viel Recht,« sagte die Herzogin, »wie Ferkel zum Fliegen, und +die M --« + +Aber, zu Alice's großem Erstaunen stockte hier die Stimme der Herzogin, +und zwar mitten in ihrem Lieblingsworte »Moral«, und der Arm, der in dem +ihrigen ruhte, fing an zu zittern. Alice sah auf, und da stand die +Königin vor ihnen, mit über der Brust gekreuzten Armen, schwarzblickend +wie ein Gewitter. + +»Ein schöner Tag, Majestät!« fing die Herzogin mit leiser schwacher +Stimme an. + +»Ich will Sie schön gewarnt haben,« schrie die Königin und stampfte +dabei mit dem Fuße: »Fort augenblicklich, entweder mit Ihnen oder mit +Ihrem Kopfe! Wählen Sie!« + +Die Herzogin wählte und verschwand eilig. + +»Wir wollen weiter spielen,« sagte die Königin zu Alice, und diese, viel +zu erschrocken, ein Wort zu erwiedern, folgte ihr langsam nach dem +Croquet-Felde. + +Die übrigen Gäste hatten die Abwesenheit der Königin benutzt, um im +Schatten auszuruhen; sobald sie sie jedoch kommen sahen, eilten sie +augenblicklich zum Spiele zurück, indem die Königin einfach bemerkte, +daß eine Minute Verzug ihnen das Leben kosten würde. + +Die ganze Zeit, wo sie spielten, hörte die Königin nicht auf, mit den +andern Spielern zu zanken und zu schreien: »Schlagt ihm den Kopf ab!« +oder: »Schlagt ihr den Kopf ab!« Diejenigen, welche sie verurtheilt +hatte, wurden von den Soldaten in Verwahrsam geführt, die natürlich dann +aufhören mußten, die Bogen zu bilden, so daß nach ungefähr einer halben +Stunde keine Bogen mehr übrig waren, und alle Spieler, außer dem Könige, +der Königin und Alice, in Verwahrsam und zum Tode verurtheilt waren. + +Da hörte die Königin, ganz außer Athem, auf, und sagte zu Alice: »Hast +du die _Falsche Schildkröte_ schon gesehen?« + +»Nein,« sagte Alice. »Ich weiß nicht einmal, was eine _Falsche +Schildkröte_ ist.« + +»Es ist das, woraus falsche Schildkrötensuppe gemacht wird,« sagte die +Königin. + +»Ich habe weder eine gesehen, noch von einer gehört,« sagte Alice. + +»Komm schnell,« sagte die Königin, »sie soll dir ihre Geschichte +erzählen.« + +Als sie mit einander fortgingen, hörte Alice den König leise zu der +ganzen Versammlung sagen: »Ihr seid Alle begnadigt!« »Ach, das ist ein +Glück!« sagte sie für sich, denn sie war über die vielen Enthauptungen, +welche die Königin angeordnet hatte, ganz außer sich gewesen. + +Sie kamen bald zu einem Greifen, der in der Sonne lag und schlief. (Wenn +ihr nicht wißt, was ein Greif ist, seht euch das Bild an.) »Auf, du +Faulpelz,« sagte die Königin, »und bringe dies kleine Fräulein zu der +falschen Schildkröte, sie möchte gern ihre Geschichte hören. Ich muß +zurück und nach einigen Hinrichtungen sehen, die ich angeordnet habe;« +damit ging sie fort und ließ Alice mit dem Greifen allein. Der Anblick +des Thieres gefiel Alice nicht recht; aber im Ganzen genommen, dachte +sie, würde es eben so sicher sein, bei ihm zu bleiben, als dieser +grausamen Königin zu folgen, sie wartete also. + +[Illustration] + +Der Greif richtete sich auf und rieb sich die Augen: darauf sah er der +Königin nach, bis sie verschwunden war; dann schüttelte er sich. »Ein +köstlicher Spaß!« sagte der Greif, halb zu sich selbst, halb zu Alice. + +»_Was_ ist ein Spaß?« fragte Alice. + +»Sie,« sagte der Greif. »Es ist Alles ihre Einbildung, das: Niemand wird +niemals nicht hingerichtet. Komm schnell.« + +»Jeder sagte hier, komm schnell,« dachte Alice, indem sie ihm langsam +nachging, »so viel bin ich in meinem Leben nicht hin und her kommandirt +worden, nein, in meinem ganzen Leben nicht!« + +Sie brauchten nicht weit zu gehen, als sie schon die falsche Schildkröte +in der Entfernung sahen, wie sie einsam und traurig auf einem +Felsenriffe saß; und als sie näher kamen, hörte Alice sie seufzen, als +ob ihr das Herz brechen wollte. Sie bedauerte sie herzlich. »Was für +einen Kummer hat sie?« fragte sie den Greifen, und der Greif antwortete, +fast in denselben Worten wie zuvor: »Es ist Alles ihre Einbildung, das; +sie hat keinen Kummer nicht. Komm schnell.« + +Sie gingen also an die falsche Schildkröte heran, die sie mit +thränenschweren Augen anblickte, aber nichts sagte. + +»Die kleine Mamsell hier,« sprach der Greif, »sie sagt, sie möchte gern +deine Geschichte wissen, sagt sie.« + +»Ich will sie ihr erzählen,« sprach die falsche Schildkröte mit tiefer, +hohler Stimme; »setzt euch beide her und sprecht kein Wort, bis ich +fertig bin.« + +Gut, sie setzten sich hin und Keiner sprach mehre Minuten lang. Alice +dachte bei sich: »Ich begreife nicht, wie sie je fertig werden kann, +wenn sie nicht anfängt.« Aber sie wartete geduldig. + +»Einst,« sagte die falsche Schildkröte endlich mit einem tiefen Seufzer, +»war ich eine wirkliche Schildkröte.« + +[Illustration] + +Auf diese Worte folgte ein sehr langes Schweigen, nur hin und wieder +unterbrochen durch den Ausruf des Greifen »Hjckrrh!« und durch das +heftige Schluchzen der falschen Schildkröte. Alice wäre beinah +aufgestanden und hätte gesagt: »Danke sehr für die interessante +Geschichte!« aber sie konnte nicht umhin zu denken, daß doch noch etwas +kommen müsse; daher blieb sie sitzen und sagte nichts. + +»Als wir klein waren,« sprach die falsche Schildkröte endlich weiter, +und zwar ruhiger, obgleich sie noch hin und wieder schluchzte, »gingen +wir zur Schule in der See. Die Lehrerin war eine alte Schildkröte -- wir +nannten sie Mamsell Schalthier --« + +»Warum nanntet ihr sie Mamsell Schalthier?« fragte Alice. + +»Sie _schalt hier_ oder sie schalt da alle Tage, darum,« sagte die falsche +Schildkröte ärgerlich; »du bist wirklich sehr dumm.« + +»Du solltest dich schämen, eine so dumme Frage zu thun,« setzte der +Greif hinzu, und dann saßen beide und sahen schweigend die arme Alice +an, die in die Erde hätte sinken mögen. Endlich sagte der Greif zu der +falschen Schildkröte: »Fahr' zu, alte Kutsche! Laß uns nicht den ganzen +Tag warten!« Und sie fuhr in folgenden Worten fort: + +»Ja, wir gingen zur Schule, in der See, ob ihr es glaubt oder nicht --« + +»Ich habe nicht gesagt, daß ich es nicht glaubte,« unterbrach sie Alice. + +»Ja, das hast du,« sagte die falsche Schildkröte. + +»Halt' den Mund!« fügte der Greif hinzu, ehe Alice antworten konnte. Die +falsche Schildkröte fuhr fort. + +»Wir gingen in die allerbeste Schule; wir hatten vier und zwanzig +Stunden regelmäßig jeden Tag.« + +»Das haben wir auf dem Lande auch,« sagte Alice, »darauf brauchst du dir +nicht so viel einzubilden.« + +»Habt ihr auch Privatstunden außerdem?« fragte die falsche Schildkröte +etwas kleinlaut. + +»Ja,« sagte Alice, »Französisch und Klavier.« + +»Und Wäsche?« sagte die falsche Schildkröte. + +»Ich dächte gar!« sagte Alice entrüstet. + +»Ah! dann gehst du in keine wirklich gute Schule,« sagte die falsche +Schildkröte sehr beruhigt. »In unserer Schule stand immer am Ende der +Rechnung, »Französisch, Klavierspielen, Wäsche -- extra.« + +»Das könnt ihr nicht sehr nöthig gehabt haben,« sagte Alice, »wenn ihr +auf dem Grunde des Meeres wohntet.« + +»Ich konnte keine Privatstunden bezahlen,« sagte die falsche +Schildkröte mit einem Seufzer. »Ich nahm nur den regelmäßigen +Unterricht.« + +»Und was war das?« fragte Alice. + +»Legen und Treiben, natürlich, zu allererst,« erwiederte die falsche +Schildkröte; »und dann die vier Abtheilungen vom Rechnen: Zusehen, +Abziehen, Vervielfraßen und Stehlen.« + +»Ich habe nie von Vervielfraßen gehört,« warf Alice ein. »Was ist das?« + +Der Greif erhob beide Klauen voller Verwunderung. »Nie von Vervielfraßen +gehört!« rief er aus. »Du weißt, was Verhungern ist? vermuthe ich.« + +»Ja,« sagte Alice unsicher, »es heißt -- nichts -- essen -- und davon -- +sterben.« + +»Nun,« fuhr der Greif fort, »wenn du nicht verstehst, was Vervielfraßen +ist, dann bist du ein Pinsel.« + +Alice hatte allen Muth verloren, sich weiter danach zu erkundigen, und +wandte sich daher an die falsche Schildkröte mit der Frage: »Was hattet +ihr sonst noch zu lernen?« + +»Nun, erstens Gewichte,« erwiederte die falsche Schildkröte, indem sie +die Gegenstände an den Pfoten aufzählte, »Gewichte, alte und neue, mit +Seeographie; dann Springen -- der Springelehrer war ein alter +Stockfisch, der ein Mal wöchentlich zu kommen pflegte, er lehrte uns +Pfoten Reiben und Unarten, meerschwimmig Springen, Schillern und +Imponiren.« + +»Wie war denn das?« fragte Alice. + +»Ich kann es dir nicht selbst zeigen,« sagte die falsche Schildkröte, +»ich bin zu steif. Und der Greif hat es nicht gelernt.« + +»Hatte keine Zeit,« sagte der Greif; »ich hatte aber Stunden bei dem +Lehrer der alten Sprachen. Das war ein alter _Barsch_, ja, das war er.« + +»Bei dem bin ich nicht gewesen,« sagte die falsche Schildkröte mit einem +Seufzer, »er lehrte Zebräisch und Greifisch, sagten sie immer.« + +»Das that er auch, das that er auch, und besonders Laßsein,« sagte der +Greif, indem er ebenfalls seufzte, worauf beide Thiere sich das Gesicht +mit den Pfoten bedeckten. + +»Und wie viel Schüler wart ihr denn in einer Klasse?« sagte Alice, die +schnell auf einen andern Gegenstand kommen wollte. + +»Zehn den ersten Tag,« sagte die falsche Schildkröte, »neun den +nächsten, und so fort.« + +»Was für eine merkwürdige Einrichtung!« rief Alice aus. + +»Das ist der Grund, warum man Lehrer hält, weil sie die Klasse von Tag +zu Tag leeren.« + +Dies war ein ganz neuer Gedanke für Alice, welchen sie gründlich +überlegte, ehe sie wieder eine Bemerkung machte. »Den elften Tag müssen +dann Alle frei gehabt haben?« + +»Natürlich!« sagte die falsche Schildkröte. + +»Und wie wurde es den zwölften Tag gemacht?« fuhr Alice eifrig fort. + +»Das ist genug von Stunden,« unterbrach der Greif sehr bestimmt: +»erzähle ihr jetzt etwas von den Spielen.« + + + + +Zehntes Kapitel. + +Das Hummerballet. + + +Die falsche Schildkröte seufzte tief auf und wischte sich mit dem Rücken +ihrer Pfote die Augen. Sie sah Alice an und versuchte zu sprechen, aber +ein bis zwei Minuten lang erstickte lautes Schluchzen ihre Stimme. +»Sieht aus, als ob sie einen Knochen in der Kehle hätt',« sagte der +Greif und machte sich daran, sie zu schütteln und auf den Rücken zu +klopfen. Endlich erhielt die falsche Schildkröte den Gebrauch ihrer +Stimme wieder, und während Thränen ihre Wangen herabflossen, erzählte +sie weiter. + +»Vielleicht hast du nicht viel unter dem Wasser gelebt --« (»Nein,« +sagte Alice) -- »und vielleicht hast du nie die Bekanntschaft eines +Hummers gemacht --« (Alice wollte eben sagen: »ich kostete einmal,« aber +sie hielt schnell ein und sagte: »Nein, niemals«) -- »du kannst dir also +nicht vorstellen, wie reizend ein Hummerballet ist.« + +»Nein, in der That nicht,« sagte Alice, »was für eine Art Tanz ist es?« + +»Nun,« sagte der Greif, »erst stellt man sich in einer Reihe am Strand +auf --« + +»In zwei Reihen!« rief die falsche Schildkröte. »Seehunde, Schildkröten, +Lachse, und so weiter; dann, wenn alle Seesterne aus dem Wege geräumt +sind --« + +»Was gewöhnlich einige Zeit dauert,« unterbrach der Greif. + +»-- geht man zwei Mal vorwärts --« + +»Jeder einen Hummer zum Tanze führend!« rief der Greif. + +»Natürlich,« sagte die falsche Schildkröte: »zwei Mal vorwärts, wieder +paarweis gestellt --« + +»-- wechselt die Hummer, und geht in derselben Ordnung zurück,« fuhr der +Greif fort. + +»Dann, mußt du wissen,« fiel die falsche Schildkröte ein, »wirft man die +--« + +»Die Hummer!« schrie der Greif mit einem Luftsprunge. + +»-- so weit in's Meer, als man kann --« + +»Schwimmt ihnen nach!« kreischte der Greif. + +»Schlägt einen Purzelbaum im Wasser!« rief die falsche Schildkröte, +indem sie unbändig umhersprang. + +[Illustration] + +»Wechselt die Hummer wieder!« heulte der Greif mit erhobener Stimme. + +»Zurück an's Land, und -- das ist die ganze erste Figur,« sagte die +falsche Schildkröte, indem ihre Stimme plötzlich sank; und beide Thiere, +die bis dahin wie toll umhergesprungen waren, setzten sich sehr betrübt +und still nieder und sahen Alice an. + +»Es muß ein sehr hübscher Tanz sein,« sagte Alice ängstlich. + +»Möchtest du eine kleine Probe sehen?« fragte die falsche Schildkröte. + +»Sehr gern,« sagte Alice. + +»Komm, laß uns die erste Figur versuchen!« sagte die falsche Schildkröte +zum Greifen. »Wir können es ohne Hummer, glaube ich. Wer soll singen?« + +»Oh, singe du!« sagte der Greif. »Ich habe die Worte vergessen.« + +So fingen sie denn an, feierlich im Kreise um Alice zu tanzen; zuweilen +traten sie ihr auf die Füße, wenn sie ihr zu nahe kamen; die falsche +Schildkröte sang dazu, sehr langsam und traurig, Folgendes: -- + + Zu der Schnecke sprach ein Weißfisch: »Kannst du denn nicht + schneller gehn? + Siehst du denn nicht die Schildkröten und die Hummer + alle stehn? + Hinter uns da kommt ein Meerschwein, und es tritt mir auf + den Schwanz; + Und sie warten an dem Strande, daß wir kommen zu + dem Tanz. + Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen + zu dem Tanz? + Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen + zu dem Tanz?« + + »Nein, du kannst es nicht ermessen, wie so herrlich es wird sein, + Nehmen sie uns mit den Hummern, werfen uns in's Meer hinein!« + Doch die Schnecke thät nicht trauen. »Das gefällt mir doch nicht ganz! + Viel zu weit, zu weit! ich danke -- gehe nicht mit euch zum Tanz! + Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, kann nicht kommen zu dem Tanz! + Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, mag nicht kommen zu dem Tanz!« + + Und der Weißfisch sprach dagegen: »'s kommt ja nicht drauf an, wie + weit! + Ist doch wohl ein andres Ufer, drüben auf der andern Seit'! + Und noch viele schöne Küsten giebt es außer Engelland's; + Nur nicht blöde, liebe Schnecke, komm' geschwind mit mir zum Tanz! + Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem + Tanz? + Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst nicht kommen zu dem + Tanz?« + +»Danke sehr, es ist sehr, sehr interessant, diesem Tanze zuzusehen,« +sagte Alice, obgleich sie sich freute, daß er endlich vorüber war; »und +das komische Lied von dem Weißfisch gefällt mir so!« + +»Oh, was die Weißfische anbelangt,« sagte die falsche Schildkröte, »die +-- du hast sie doch gesehen?« + +»Ja,« sagte Alice, »ich habe sie oft gesehen, bei'm Mitt --« sie hielt +schnell inne. + +»Ich weiß nicht, wer Mitt sein mag,« sagte die falsche Schildkröte, +»aber da du sie so oft gesehen hast, so weißt du natürlich, wie sie +aussehen?« + +»Ja, ich glaube,« sagte Alice nachdenklich, »sie haben den Schwanz im +Maule, -- und sind ganz mit geriebener Semmel bestreut.« + +»Die geriebene Semmel ist ein Irrthum,« sagte die falsche Schildkröte; +»sie würde in der See bald abgespült werden. Aber den Schwanz haben sie +im Maule, und der Grund ist« -- hier gähnte die falsche Schildkröte und +machte die Augen zu. -- »Sage ihr Alles das von dem Grunde,« sprach sie +zum Greifen. + +»Der Grund ist,« sagte der Greif, »daß sie durchaus im Hummerballet +mittanzen wollten. So wurden sie denn in die See hinein geworfen. So +mußten sie denn sehr weit fallen. So kamen ihnen denn die Schwänze in +die Mäuler. So konnten sie sie denn nicht wieder heraus bekommen. So ist +es.« + +»Danke dir,« sagte Alice, »es ist sehr interessant. Ich habe nie so viel +vom Weißfisch zu hören bekommen.« + +»Ich kann dir noch mehr über ihn sagen, wenn du willst,« sagte der +Greif, »weißt du, warum er Weißfisch heißt?« + +»Ich habe darüber noch nicht nachgedacht,« sagte Alice. »Warum?« + +»Darum eben,« sagte der Greif mit tiefer, feierlicher Stimme, »weil man +so wenig von ihm _weiß_. Nun aber mußt du uns auch etwas von deinen +Abenteuern erzählen.« + +»Ich könnte euch meine Erlebnisse von heute früh an erzählen,« sagte +Alice verschämt, »aber bis gestern zurück zu gehen, wäre ganz unnütz, +weil ich da jemand Anderes war.« + +»Erkläre das deutlich,« sagte die falsche Schildkröte. + +»Nein, die Erlebnisse erst,« sagte der Greif in ungeduldigem Tone, +»Erklärungen nehmen so schrecklich viel Zeit fort.« + +Alice fing also an, ihnen ihre Abenteuer von da an zu erzählen, wo sie +das weiße Kaninchen zuerst gesehen hatte. Im Anfange war sie etwas +ängstlich, die beiden Thiere kamen ihr so nah, eins auf jeder Seite, +und sperrten Augen und Mund so _weit_ auf; aber nach und nach wurde sie +dreister. Ihre Zuhörer waren ganz ruhig, bis sie an die Stelle kam, wo +sie der Raupe 'Ihr seid alt, Vater Martin' hergesagt hatte, und wo +lauter andere Worte gekommen waren, da holte die falsche Schildkröte +tief Athem und sagte: »das ist sehr merkwürdig.« + +»Es ist Alles so merkwürdig, wie nur möglich,« sagte der Greif. + +»Es kam ganz verschieden!« wiederholte die falsche Schildkröte +gedankenvoll. »Ich möchte sie wohl etwas hersagen hören. Sage ihr, daß +sie anfangen soll.« Sie sah den Greifen an, als ob sie dächte, daß er +einigen Einfluß auf Alice habe. + +»Steh' auf und sage her: 'Preisend mit viel schönen Reden',« sagte der +Greif. + +»Wie die Geschöpfe alle Einen kommandiren und Gedichte aufsagen lassen!« +dachte Alice, »dafür könnte ich auch lieber gleich in der Schule sein.« +Sie stand jedoch auf und fing an, das Gedicht herzusagen; aber ihr Kopf +war so voll von dem Hummerballet, daß sie kaum wußte, was sie sagte, und +die Worte kamen sehr sonderbar: -- + +[Illustration] + + »Preisend mit viel schönen Kniffen seiner Scheeren Werth und Zahl, + Stand der Hummer vor dem Spiegel in der schönen rothen Schal'! + »Herrlich,« sprach der Fürst der Krebse, »steht mir dieser lange Bart!« + Rückt die Füße mit der Nase auswärts, als er dieses sagt.« + +»Das ist anders, als ich's als Kind gesagt habe,« sagte der Greif. + +»Ich habe es zwar noch niemals gehört,« sagte die falsche Schildkröte; +»aber es klingt wie blühender Unsinn.« + +Alice erwiederte nichts; sie setzte sich, bedeckte das Gesicht mit +beiden Händen und überlegte, ob wohl _je_ wieder irgend etwas natürlich +sein würde. + +»Ich möchte es gern erklärt haben,« sagte die falsche Schildkröte. + +»Sie kann's nicht erklären,« warf der Greif schnell ein. »Sage den +nächsten Vers.« + +»Aber das von den Füßen?« fragte die falsche Schildkröte wieder. »Wie +kann er sie mit der Nase auswärts rücken?« + +»Es ist die erste Position bei'm Tanzen,« sagte Alice; aber sie war über +Alles dies entsetzlich verwirrt und hätte am liebsten aufgehört. + +»Sage den nächsten Vers!« wiederholte der Greif ungeduldig, »er fängt +an: 'Seht mein Land!'« + +Alice wagte nicht, es abzuschlagen, obgleich sie überzeugt war, es würde +Alles falsch kommen, sie fuhr also mit zitternder Stimme fort: -- + + »Seht mein Land und grüne Fluten,« sprach ein fetter Lachs vom Rhein; + Goldne Schuppen meine Rüstung, und mit Austern trink' ich Wein.« + +»Wozu sollen wir das dumme Zeug mit anhören,« unterbrach sie die falsche +Schildkröte, »wenn sie es nicht auch erklären kann? Es ist das +verworrenste Zeug, das ich je gehört habe!« + +»Ja, ich glaube auch, es ist besser du hörst auf,« sagte der Greif, und +Alice gehorchte nur zu gern. + +»Sollen wir noch eine Figur von dem Hummerballet versuchen?« fuhr der +Greif fort. »Oder möchtest du lieber, daß die falsche Schildkröte dir +ein Lied vorsingt?« + +»Oh, ein Lied! bitte, wenn die falsche Schildkröte so gut sein will,« +antwortete Alice mit solchem Eifer, daß der Greif etwas beleidigt sagte: +»Hm! der Geschmack ist verschieden! Singe ihr vor 'Schildkrötensuppe', +hörst du, alte Tante?« + +Die falsche Schildkröte seufzte tief auf und fing an, mit halb von +Schluchzen erstickter Stimme, so zu singen: -- + + »Schöne Suppe, so schwer und so grün, + Dampfend in der heißen Terrin'! + Wem nach einem so schönen Gericht + Wässerte denn der Mund wohl nicht? + Kön'gin der Suppen, du schönste Supp'! + Kön'gin der Suppen, du schönste Supp'! + Wu -- underschöne Su -- uppe! + Wu -- underschöne Su -- uppe! + Kö -- önigin der Su -- uppen, + Wunder-wunderschöne Supp'! + + Schöne Suppe, wer fragt noch nach Fisch, + Wildpret oder was sonst auf dem Tisch? + Alles lassen wir stehen zu p + Reisen allein die wunderschöne Supp', + Preisen allein die wunderschöne Supp'! + Wu -- underschöne Su -- uppe! + Wu -- underschöne Su -- uppe! + Kö -- önigin der Su -- uppen, + Wunder-wunderschöne Supp'! + +»Den Chor noch einmal!« rief der Greif, und die falsche Schildkröte +hatte ihn eben wieder angefangen, als ein Ruf: »Das Verhör fängt an!« in +der Ferne erscholl. + +»Komm schnell!« rief der Greif, und Alice bei der Hand nehmend lief er +fort, ohne auf das Ende des Gesanges zu warten. + +»Was für ein Verhör?« keuchte Alice bei'm Rennen; aber der Greif +antwortete nichts als: »Komm schnell!« und rannte weiter, während +schwächer und schwächer, vom Winde getragen, die Worte ihnen folgten: -- + + »Kö -- önigin der Su -- uppen, + Wunder-wunderschöne Supp'!« + + + + +Elftes Kapitel. + +Wer hat die Kuchen gestohlen? + + +Der König und die Königin der Herzen saßen auf ihrem Throne, als sie +ankamen, und eine große Menge war um sie versammelt -- allerlei kleine +Vögel und Thiere, außerdem das ganze Pack Karten: der Bube stand vor +ihnen, in Ketten, einen Soldaten an jeder Seite, um ihn zu bewachen; +dicht bei dem Könige befand sich das weiße Kaninchen, eine Trompete in +einer Hand, in der andern eine Pergamentrolle. Im Mittelpunkte des +Gerichtshofes stand ein Tisch mit einer Schüssel voll Torten: sie sahen +so appetitlich aus, daß der bloße Anblick Alice ganz hungrig darauf +machte. -- »Ich wünschte, sie machten schnell mit dem Verhör und +reichten die Erfrischungen herum.« Aber dazu schien wenig Aussicht zu +sein, so daß sie anfing, Alles genau in Augenschein zu nehmen, um sich +die Zeit zu vertreiben. + +Alice war noch nie in einem Gerichtshofe gewesen, aber sie hatte in +ihren Büchern davon gelesen und bildete sich etwas Rechtes darauf ein, +daß sie Alles, was sie dort sah, bei Namen zu nennen wußte. »Das ist der +Richter,« sagte sie für sich, »wegen seiner großen Perrücke.« + +Der Richter war übrigens der König, und er trug die Krone über der +Perücke (seht euch das Titelbild an, wenn ihr wissen wollt, wie), es sah +nicht aus, als sei es ihm bequem, und sicherlich stand es ihm nicht gut. + +»Und jene zwölf kleinen Thiere da sind vermuthlich die Geschwornen,« +dachte Alice. Sie wiederholte sich selbst dies Wort zwei bis drei Mal, +weil sie so stolz darauf war; denn sie glaubte, und das mit Recht, daß +wenig kleine Mädchen ihres Alters überhaupt etwas von diesen Sachen +wissen würden. + +Die zwölf Geschwornen schrieben alle sehr eifrig auf Schiefertafeln. +»Was thun sie?« fragte Alice den Greifen in's Ohr. »Sie können ja noch +nichts aufzuschreiben haben, ehe das Verhör beginnt.« + +»Sie schreiben ihre Namen auf,« sagte ihr der Greif in's Ohr, »weil sie +bange sind, sie zu vergessen, ehe das Verhör zu Ende ist.« + +»Dumme Dinger!« fing Alice entrüstet ganz laut an; aber sie hielt +augenblicklich inne, denn das weiße Kaninchen rief aus: »Ruhe im Saal!« +und der König setzte seine Brille auf und blickte spähend umher, um zu +sehen, wer da gesprochen habe. + +Alice konnte ganz deutlich sehen, daß alle Geschworne »dumme Dinger!« +auf ihre Tafeln schrieben, und sie merkte auch, daß Einer von ihnen +nicht wußte, wie es geschrieben wird, und seinen Nachbar fragen mußte. +»_Die_ Tafeln werden in einem schönen Zustande sein, wenn das Verhör +vorüber ist!« dachte Alice. + +Einer der Geschwornen hatte einen Tafelstein, der quiekste. Das konnte +Alice natürlich nicht aushalten, sie ging auf die andere Seite des +Saales, gelangte dicht hinter ihn und fand sehr bald eine Gelegenheit, +den Tafelstein fortzunehmen. Sie hatte es so schnell gethan, daß der +arme kleine Geschworne (es war Wabbel), durchaus nicht begreifen konnte, +wo sein Griffel hingekommen war; nachdem er ihn also überall gesucht +hatte, mußte er sich endlich entschließen, mit einem Finger zu +schreiben, und das war von sehr geringem Nutzen, da es keine Spuren auf +der Tafel zurückließ. + +[Illustration] + +»Herold, verlies die Anklage!« sagte der König. + +Da blies das weiße Kaninchen drei Mal in die Trompete, entfaltete darauf +die Pergamentrolle und las wie folgt: -- + + »Coeur-Königin, sie buk Kuchen, + Juchheisasah, juchhe! + Coeur-Bube kam, die Kuchen nahm. + Wo sind sie nun? O weh!« + +»Gebt euer Urtheil ab!« sprach der König zu den Geschwornen. + +»Noch nicht, noch nicht!« unterbrach ihn das Kaninchen schnell. »Da +kommt noch Vielerlei erst.« + +»Laßt den ersten Zeugen eintreten!« sagte der König, worauf das +Kaninchen drei Mal in die Trompete blies und ausrief: »Erster Zeuge!« + +Der erste Zeuge war der Hutmacher. Er kam herein, eine Tasse in einer +Hand und in der andern ein Stück Butterbrot haltend. »Ich bitte um +Verzeihung, Eure Majestät, daß ich das mitbringe; aber ich war nicht +ganz fertig mit meinem Thee, als nach mir geschickt wurde.« + +»Du hättest aber damit fertig sein sollen,« sagte der König. »Wann hast +du damit angefangen?« + +Der Hutmacher sah den Faselhasen an, der ihm in den Gerichtssaal gefolgt +war, Arm in Arm mit dem Murmelthier. »Vierzehnten März, glaube ich war +es,« sagte er. + +»Funfzehnten,« sagte der Faselhase. + +»Sechzehnten,« fügte das Murmelthier hinzu. + +»Nehmt das zu Protokoll,« sagte der König zu den Geschwornen, und die +Geschwornen schrieben eifrig die drei Daten auf ihre Tafeln, addirten +sie dann und machten die Summe zu Groschen und Pfennigen. + +»Nimm deinen Hut ab,« sagte der König zum Hutmacher. + +»Es ist nicht meiner,« sagte der Hutmacher. + +»Gestohlen!« rief der König zu den Geschwornen gewendet aus, welche +sogleich die Thatsache notirten. + +»Ich halte sie zum Verkauf,« fügte der Hutmacher als Erklärung hinzu, +»ich habe keinen eigenen. Ich bin ein Hutmacher.« + +Da setzte sich die Königin die Brille auf und fing an, den Hutmacher +scharf zu beobachten, was ihn sehr blaß und unruhig machte. + +»Gieb du deine Aussage,« sprach der König, »und sei nicht ängstlich, +oder ich lasse dich auf der Stelle hängen.« + +Dies beruhigte den Zeugen augenscheinlich nicht; er stand abwechselnd +auf dem linken und rechten Fuße, sah die Königin mit großem Unbehagen +an, und in seiner Befangenheit biß er ein großes Stück aus seiner +Theetasse statt aus seinem Butterbrot. + +Gerade in diesem Augenblick spürte Alice eine seltsame Empfindung, die +sie sich durchaus nicht erklären konnte, bis sie endlich merkte, was es +war: sie fing wieder an zu wachsen, und sie wollte sogleich aufstehen +und den Gerichtshof verlassen; aber nach weiterer Ueberlegung beschloß +sie zu bleiben, wo sie war, so lange sie Platz genug hatte. + +»Du brauchtest mich wirklich nicht so zu drängen,« sagte das +Murmelthier, welches neben ihr saß. »Ich kann kaum athmen.« + +»Ich kann nicht dafür,« sagte Alice bescheiden, »ich wachse.« + +»Du hast kein Recht dazu, hier zu wachsen,« sagte das Murmelthier. + +»Rede nicht solchen Unsinn,« sagte Alice dreister; »du weißt recht gut, +daß du auch wächst.« + +»Ja, aber ich wachse in vernünftigem Maßstabe,« sagte das Murmelthier, +»nicht auf so lächerliche Art.« Dabei stand es verdrießlich auf und ging +an die andere Seite des Saales. + +Die ganze Zeit über hatte die Königin unablässig den Hutmacher +angestarrt, und gerade als das Murmelthier durch den Saal ging, sprach +sie zu einem der Gerichtsbeamten: »Bringe mir die Liste der Sänger im +letzten Concerte!« worauf der unglückliche Hutmacher so zitterte, daß +ihm beide Schuhe abflogen. + +[Illustration] + +»Gieb deine Aussage,« wiederholte der König ärgerlich, »oder ich werde +dich hinrichten lassen, ob du dich ängstigst oder nicht.« + +»Ich bin ein armer Mann, Eure Majestät,« begann der Hutmacher mit +zitternder Stimme, »und ich hatte eben erst meinen Thee angefangen -- +nicht länger als eine Woche ungefähr -- und da die Butterbrote so dünn +wurden -- und es Teller und Töpfe in den Thee schneite.« + +»Teller und Töpfe -- was?« fragte der König. + +»Es fing mit dem Thee an,« erwiederte der Hutmacher. + +»Natürlich fangen Teller und Töpfe mit einem T an. Hältst du mich für +einen Esel? Rede weiter!« + +»Ich bin ein armer Mann,« fuhr der Hutmacher fort, »und seitdem schneite +Alles -- der Faselhase sagte nur --« + +»Nein, ich hab's nicht gesagt!« unterbrach ihn der Faselhase schnell. + +»Du hast's wohl gesagt!« rief der Hutmacher. + +»Ich läugne es!« sagte der Faselhase. + +»Er läugnet es!« sagte der König: »laßt den Theil der Aussage fort.« + +»Gut, auf jeden Fall hat's das Murmelthier gesagt --« fuhr der Hutmacher +fort, indem er sich ängstlich umsah, ob es auch läugnen würde; aber das +Murmelthier läugnete nichts, denn es war fest eingeschlafen. »Dann,« +sprach der Hutmacher weiter, »schnitt ich noch etwas Butterbrot --« + +»Aber _was_ hat das Murmelthier gesagt?« fragte einer der Geschwornen. + +»Das ist mir ganz entfallen,« sagte der Hutmacher. + +»Aber es _muß_ dir wieder einfallen,« sagte der König, »sonst lasse ich +dich köpfen.« + +Der unglückliche Hutmacher ließ Tasse und Butterbrot fallen und ließ +sich auf ein Knie nieder. »Ich bin ein armseliger Mann, Eure Majestät,« +fing er an. + +»Du bist ein _sehr_ armseliger Redner,« sagte der König. + +Hier klatschte eins der Meerschweinchen Beifall, was sofort von den +Gerichtsdienern unterdrückt wurde. (Da dies ein etwas schweres Wort ist, +so will ich beschreiben, wie es gemacht wurde. Es war ein großer +Leinwandsack bei der Hand, mit Schnüren zum Zusammenziehen: da hinein +wurde das Meerschweinchen gesteckt, den Kopf nach unten, und dann saßen +sie darauf.) + +»Es ist mir lieb, daß ich das gesehen habe,« dachte Alice, »ich habe so +oft in der Zeitung am Ende eines Verhörs gelesen: 'Das Publikum fing an, +Beifall zu klatschen, was aber sofort von den Gerichtsdienern +unterdrückt wurde,' und ich konnte bis jetzt nie verstehen, was es +bedeutete.« + +»Wenn dies Alles ist, was du zu sagen weißt, so kannst du abtreten,« +fuhr der König fort. + +»Ich kann nichts mehr abtreten,« sagte der Hutmacher: »ich stehe so +schon auf den Strümpfen.« + +»Dann kannst du _abwarten_, bis du wieder gefragt wirst,« erwiederte der +König. + +Hier klatschte das zweite Meerschweinchen und wurde unterdrückt. + +»Ha, nun sind die Meerschweinchen besorgt,« dachte Alice, »nun wird es +besser vorwärts gehen.« + +[Illustration] + +»Ich möchte lieber zu meinem Thee zurückgehen,« sagte der Hutmacher mit +einem ängstlichen Blicke auf die Königin, welche die Liste der Sänger +durchlas. + +»Du kannst gehen,« sagte der König, worauf der Hutmacher eilig den +Gerichtssaal verließ, ohne sich einmal Zeit zu nehmen, seine Schuhe +anzuziehen. + +»-- und draußen schneidet ihm doch den Kopf ab,« fügte die Königin zu +einem der Beamten gewandt hinzu; aber der Hutmacher war nicht mehr zu +sehen, als der Beamte die Thür erreichte. + +»Ruft den nächsten Zeugen!« sagte der König. + +Der nächste Zeuge war die Köchin der Herzogin. Sie trug die +Pfefferbüchse in der Hand, und Alice errieth, schon ehe sie in den Saal +trat, wer es sei, weil alle Leute in der Nähe der Thür mit einem Male +anfingen zu niesen. + +»Gieb deine Aussage,« sagte der König. + +»Ne!« antwortete die Köchin. + +Der König sah ängstlich das weiße Kaninchen an, welches leise sprach: +»Eure Majestät müssen diesen Zeugen einem Kreuzverhör unterwerfen.« + +»Wohl, wenn ich muß, muß ich,« sagte der König trübsinnig, und nachdem +er die Arme gekreuzt und die Augenbraunen so fest zusammengezogen hatte, +daß seine Augen kaum mehr zu sehen waren, sagte er mit tiefer Stimme: +»Wovon macht man kleine Kuchen?« + +»Pfeffer, hauptsächlich,« sagte die Köchin. + +»Syrup,« sagte eine schläfrige Stimme hinter ihr. + +»Nehmt dieses Murmelthier fest!« heulte die Königin. »Köpft dieses +Murmelthier! Schafft dieses Murmelthier aus dem Saale! Unterdrückt es! +Kneift es! Brennt ihm den Bart ab!« + +Einige Minuten lang war das ganze Gericht in Bewegung, um das +Murmelthier fortzuschaffen; und als endlich Alles wieder zur Ruhe +gekommen war, war die Köchin verschwunden. + +»Schadet nichts!« sagte der König und sah aus, als falle ihm ein Stein +vom Herzen. »Ruft den nächsten Zeugen.« Und zu der Königin gewandt, +fügte er leise hinzu: »Wirklich, meine Liebe, du mußt das nächste +Kreuzverhör übernehmen, meine Arme sind schon ganz lahm.« + +Alice beobachtete das weiße Kaninchen, das die Liste durchsuchte, da sie +sehr neugierig war, wer wohl der nächste Zeuge sein möchte, -- »denn sie +haben noch nicht viel Beweise,« sagte sie für sich. Denkt euch ihre +Ueberraschung, als das weiße Kaninchen mit seiner höchsten Kopfstimme +vorlas: »Alice!« + + + + +Zwölftes Kapitel. + +Alice ist die Klügste. + + +»Hier!« rief Alice, in der augenblicklichen Erregung ganz vergessend, +wie sehr sie die letzten Minuten gewachsen war; sie sprang in solcher +Eile auf, daß sie mit ihrem Rock das Pult vor sich umstieß, so daß alle +Geschworne auf die Köpfe der darunter sitzenden Versammlung fielen. Da +lagen sie unbehülflich umher und erinnerten sie sehr an ein Glas mit +Goldfischen, das sie die Woche vorher aus Versehen umgestoßen hatte. + +»Oh, ich _bitte_ um Verzeihung,« rief sie mit sehr bestürztem Tone, und +fing an, sie so schnell wie möglich aufzunehmen; denn der Unfall mit den +Goldfischen lag ihr noch im Sinne, und sie hatte eine unbestimmte Art +Vorstellung, als ob sie gleich gesammelt und wieder in ihr Pult gethan +werden müßten, sonst würden sie sterben. + +[Illustration] + +»Das Verhör kann nicht fortgesetzt werden,« sagte der König sehr ernst, +»bis alle Geschworne wieder an ihrem rechten Platze sind -- _alle_,« +wiederholte er mit großem Nachdrucke, und sah dabei Alice fest an. + +Alice sah sich nach dem Pulte um und bemerkte, daß sie in der Eile die +Eidechse kopfunten hineingestellt hatte, und das arme kleine Ding +bewegte den Schwanz trübselig hin und her, da es sich übrigens nicht +rühren konnte. Sie zog es schnell wieder heraus und stellte es richtig +hinein. »Es hat zwar nichts zu bedeuten,« sagte sie für sich, »ich +glaube, es würde für das Verhör ganz eben so nützlich sein kopfoben wie +kopfunten.« + +Sobald sich die Geschwornen etwas von dem Schreck erholt hatten, +umgeworfen worden zu sein, und nachdem ihre Tafeln und Tafelsteine +gefunden und ihnen zurückgegeben worden waren, machten sie sich eifrig +daran, die Geschichte ihres Unfalles aufzuschreiben, alle außer der +Eidechse, welche zu angegriffen war, um etwas zu thun; sie saß nur mit +offnem Maule da und starrte die Saaldecke an. + +»Was weißt du von dieser Angelegenheit?« fragte der König Alice. + +»Nichts!« sagte Alice. + +»Durchaus nichts?« drang der König in sie. + +»Durchaus nichts!« sagte Alice. + +»Daß ist sehr wichtig,« sagte der König, indem er sich an die +Geschwornen wandte. Sie wollten dies eben auf ihre Tafeln schreiben, +als das weiße Kaninchen ihn unterbrach. »Unwichtig, meinten Eure +Majestät natürlich!« sagte es in sehr ehrfurchtsvollem Tone, wobei es +ihn aber mit Stirnrunzeln und verdrießlichem Gesichte ansah. + +»_Un_wichtig, natürlich, meinte ich,« bestätigte der König eilig, und fuhr +mit halblauter Stimme für sich fort: »wichtig -- unwichtig -- unwichtig +-- wichtig --« als ob er versuchte, welches Wort am besten klänge. + +Einige der Geschwornen schrieben auf »wichtig«, und einige »unwichtig.« +Alice konnte dies sehen, da sie nahe genug war, um ihre Tafeln zu +überblicken; »aber es kommt nicht das Geringste darauf an,« dachte sie +bei sich. + +In diesem Augenblick rief der König, der eifrig in seinem Notizbuch +geschrieben hatte, plötzlich aus: »Still!« und las dann aus seinem Buche +vor: »Zweiundvierzigstes Gesetz. _Alle Personen, die mehr als eine Meile +hoch sind, haben den Gerichtshof zu verlassen_. + +Alle sahen Alice an. + +»Ich _bin_ keine Meile groß,« sagte Alice. + +»Das bist du wohl,« sagte der König. + +»Beinahe zwei Meilen groß,« fügte die Königin hinzu. + +»Auf jeden Fall werde ich nicht fortgehen,« sagte Alice, »übrigens ist +das kein regelmäßiges Gesetz; Sie haben es sich eben erst ausgedacht.« + +»Es ist das älteste Gesetz in dem Buche,« sagte der König. + +»Dann müßte es Nummer Eins sein,« sagte Alice. + +Der König erbleichte und machte sein Notizbuch schnell zu. »Gebt euer +Urtheil ab!« sagte er leise und mit zitternder Stimme zu den +Geschwornen. + +»Majestät halten zu Gnaden, es sind noch mehr Beweise aufzunehmen,« +sagte das weiße Kaninchen, indem es eilig aufsprang; »dieses Papier ist +soeben gefunden worden.« + +»Was enthält es?« fragte die Königin. + +»Ich habe es noch nicht geöffnet,« sagte das weiße Kaninchen, »aber es +scheint ein Brief von dem Gefangenen an -- an Jemand zu sein.« + +»Ja, das wird es wohl sein,« sagte der König, »wenn es nicht an Niemand +ist, was, wie bekannt nicht oft vorkommt.« + +»An wen ist es adressirt?« fragte einer der Geschwornen. + +»Es ist gar nicht adressirt,« sagte das weiße Kaninchen; »überhaupt +steht auf der _Außenseite_ gar nichts.« Es faltete bei diesen Worten das +Papier auseinander und sprach weiter: »Es ist übrigens gar kein Brief, +es sind Verse.« + +»Sind sie in der Handschrift des Gefangenen?« fragte ein anderer +Geschworner. + +»Nein, das sind sie nicht,« sagte das weiße Kaninchen, »und das ist das +Merkwürdigste dabei.« (Die Geschwornen sahen alle ganz verdutzt aus.) + +»Er muß eines Andern Handschrift nachgeahmt haben,« sagte der König. +(Die Gesichter der Geschwornen klärten sich auf.) + +»Eure Majestät halten zu Gnaden,« sagte der Bube, »ich habe es nicht +geschrieben, und Niemand kann beweisen, daß ich es geschrieben haben, es +ist keine Unterschrift darunter.« + +»Wenn du es nicht unterschrieben hast,« sagte der König, »so macht das +die Sache nur schlimmer. Du mußt schlechte Absichten dabei gehabt haben, +sonst hättest du wie ein ehrlicher Mann deinen Namen darunter gesetzt.« + +Hierauf folgte allgemeines Beifallklatschen; es war der erste wirklich +kluge Ausspruch, den der König an dem Tage gethan hatte. + +»Das _beweist_ seine Schuld,« sagte die Königin. + +»Es beweist durchaus gar nichts!« sagte Alice, »Ihr wißt ja noch nicht +einmal, worüber die Verse sind!« + +»Lies sie!« sagte der König. + +Das weiße Kaninchen setzte seine Brille auf. »Wo befehlen Eure Majestät, +daß ich anfangen soll?« fragte es. + +»Fange beim Anfang an,« sagte der König ernsthaft, »und lies bis du an's +Ende kommst, dann halte an.« + +Dies waren die Verse, welche das weiße Kaninchen vorlas: -- + + »Ich höre ja du warst bei ihr, + Und daß er mir es gönnt; + Sie sprach, sie hielte viel von mir, + Wenn ich nur schwimmen könnt'! + + Er schrieb an sie, ich ginge nicht + (Nur wußten wir es gleich): + Wenn ihr viel an der Sache liegt, + Was würde dann aus euch? + + Ich gab ihr eins, sie gab ihm zwei, + Ihr gabt uns drei Mal vier; + Jetzt sind sie hier, er steht dabei; + Doch alle gehörten erst mir. + + Würd' ich und sie vielleicht darein + Verwickelt und verfahren, + Vertraut er dir, sie zu befrei'n, + Gerade wie wir waren. + + Ich dachte schon in meinem Sinn, + Eh' sie den Anfall hätt', + Ihr wär't derjenige, der ihn, + Es und uns hindertet. + + Sag' ihm um keinen Preis, daß ihr + Die Andern lieber war'n; + Denn keine Seele außer dir + Und mir darf dies erfahr'n.« + +»Das ist das wichtigste Beweisstück, das wir bis jetzt gehört haben,« +sagte der König, indem er sich die Hände rieb; »laßt also die +Geschwornen --« + +»Wenn es Einer von ihnen erklären kann,« sagte Alice (sie war die +letzten Paar Minuten so sehr gewachsen, daß sie sich gar nicht +fürchtete, ihn zu unterbrechen), »so will ich ihm sechs Dreier schenken. +Ich finde, daß auch keine Spur von Sinn darin ist.« + +Die Geschwornen schrieben Alle auf ihre Tafeln: »Sie findet, daß auch +keine Spur von Sinn darin ist;« aber keiner von ihnen versuchte, das +Schriftstück zu erklären. + +»Wenn kein Sinn darin ist,« sagte der König, »das spart uns ja ungeheuer +viel Arbeit; dann haben wir nicht nöthig, ihn zu suchen. Und dennoch +weiß ich nicht,« fuhr er fort, indem er das Papier auf dem Knie +ausbreitete und es prüfend beäugelte, »es kommt mir vor, als könnte ich +etwas Sinn darin finden. '-- wenn ich nur schwimmen könnt'!' du kannst +nicht schwimmen, nicht wahr?« wandte er sich an den Buben. + +Der Bube schüttelte traurig das Haupt. »Seh' ich etwa danach aus?« (was +freilich nicht der Fall war, da er gänzlich aus Papier bestand.) + +»Das trifft zu, so weit,« sagte der König und fuhr fort, die Verse leise +durchzulesen. »'Nur wußten wir es gleich' -- das sind die Geschwornen, +natürlich -- 'Ich gab ihr eins, sie gab ihm zwei --' ja wohl, so hat +er's mit den Kuchen gemacht, versteht sich --« + +»Aber es geht weiter: 'Jetzt sind sie hier,'« sagte Alice. + +»Freilich, da sind sie ja! er steht dabei!« sagte der König triumphirend +und wies dabei nach den Kuchen auf dem Tische und nach dem Buben; +»nichts kann klarer sein. Dann wieder -- 'Eh sie den Anfall hätt'' -- du +hast nie einen Anfall gehabt, Liebe, glaube ich,« sagte er zu der +Königin. + +[Illustration] + +»Niemals,« rief die Königin wüthend und warf dabei der Eidechse ein +Tintenfaß an den Kopf. (Der unglückliche kleine Wabbel hatte aufgehört, +mit dem Finger auf seiner Tafel zu schreiben, da er merkte, daß es keine +Spuren hinterließ; doch nun fing er eilig wieder an, indem er die Tinte +benutzte, die von seinem Gesichte herabträufelte, so lange dies +vorhielt.) + +»Dann ist dies nicht dein _Fall_,« sagte der König und blickte lächelnd in +dem ganzen Saale herum. Alles blieb todtenstill. + +»-- 's ist ja 'n Witz!« fügte der König in ärgerlichem Tone hinzu -- +sogleich lachte Jedermann. »Die Geschwornen sollen ihren Ausspruch +thun,« sagte der König wohl zum zwanzigsten Male. + +»Nein, nein!« sagte die Königin. »Erst das Urtheil, der Ausspruch der +Geschwornen nachher.« + +»Dummer Unsinn!« sagte Alice laut. »Was für ein Einfall, erst das +Urtheil haben zu wollen!« + +»Halt den Mund!« sagte die Königin, indem sie purpurroth wurde. + +»Ich will nicht!« sagte Alice. + +»Schlagt ihr den Kopf ab!« brüllte die Königin so laut sie konnte. +Niemand rührte sich. + +»Wer fragt nach euch?« sagte Alice (unterdessen hatte sie ihre volle +Größe erreicht). »Ihr seid nichts weiter als ein Spiel Karten!« + +[Illustration] + +Bei diesen Worten erhob sich das ganze Spiel in die Luft und flog auf +sie herab; sie schrie auf, halb vor Furcht, halb vor Aerger, versuchte +sie sich abzuwehren und merkte, daß sie am Ufer lag, den Kopf auf dem +Schoße ihrer Schwester, welche leise einige welke Blätter fortnahm, die +ihr von den Bäumen herunter auf's Gesicht gefallen waren. + +»Wach auf, liebe Alice!« sagte ihre Schwester; »du hast mal lange +geschlafen!« + +»O, und ich habe einen so merkwürdigen Traum gehabt!« sagte Alice, und +sie erzählte ihrer Schwester, so gut sie sich errinnern konnte, alle die +seltsamen Abenteuer, welche ihr eben gelesen habt. Als sie fertig war, +gab ihre Schwester ihr einen Kuß und sagte: »Es _war_ ein sonderbarer +Traum, das ist gewiß; aber nun lauf hinein zum Thee, es wird spät.« Da +stand Alice auf und rannte fort, und dachte dabei, und zwar mit Recht, +daß es doch ein wunderschöner Traum gewesen sei. + + * * * * * + +Aber ihre Schwester blieb sitzen, wie sie sie verlassen hatte, den Kopf +auf die Hand gestützt, blickte in die untergehende Sonne und dachte an +die kleine Alice und ihre wunderbaren Abenteuer, bis auch sie auf ihre +Weise zu träumen anfing, und dies war ihr Traum: + +Zuerst träumte sie von der kleinen Alice selbst: wieder sah sie die +kleinen Händchen zusammengefaltet auf ihrem Knie, und die klaren +sprechenden Augen, die zu ihr aufblickten -- sie konnte selbst den Ton +ihrer Stimme hören und das komische Zurückwerfen des kleinen Köpfchens +sehen, womit sie die einzelnen Haare abschüttelte, die ihr immer wieder +in die Augen kamen -- und jemehr sie zuhörte oder zuzuhören meinte, desto +mehr belebte sich der ganze Platz um sie herum mit den seltsamen +Geschöpfen aus ihrer kleinen Schwester Traum. + +Das lange Gras zu ihren Füßen rauschte, da das weiße Kaninchen +vorbeihuschte -- die erschrockene Maus plätscherte durch den nahen Teich +-- sie konnte das Klappern der Theetassen hören, wo der Faselhase und +seine Freunde ihre immerwährende Mahlzeit hielten, und die gellende +Stimme der Königin, die ihre unglücklichen Gäste zur Hinrichtung +abschickte -- wieder nieste das Ferkel-Kind auf dem Schoße der Herzogin, +während Pfannen und Schüsseln rund herum in Scherben brachen -- wieder +erfüllten der Schrei des Greifen, das Quieken von dem Tafelstein der +Eidechse und das Stöhnen des unterdrückten Meerschweinchens die Luft und +vermischten sich mit dem Schluchzen der unglücklichen falschen +Schildkröte in der Entfernung. + +So saß sie da, mit geschlossenen Augen, und glaubte fast, sie sei im +Wunderlande, obgleich sie ja wußte, daß sobald sie die Augen öffnete, +Alles wieder zur alltäglichen Wirklichkeit werden würde; das Gras würde +dann nur im Winde rauschen, der Teich mit seinem Rieseln das Wogen des +Rohres begleiten; das Klappern der Theetassen würde sich in klingende +Heerdenglocken verwandeln und die gellende Stimme der Königin in die +Rufe des Hirtenknaben -- und das Niesen des Kindes, das Geschrei des +Greifen und all die andern außerordentlichen Töne würden sich (das wußte +sie) in das verworrene Getöse des geschäftigen Gutshofes verwandeln -- +während sie statt des schwermüthigen Schluchzens der falschen +Schildkröte in der Ferne das wohlbekannte Brüllen des Rindviehes hören +würde. + +Endlich malte sie sich aus, wie ihre kleine Schwester Alice in späterer +Zeit selbst erwachsen sein werde; und wie sie durch alle reiferen Jahre +hindurch das einfache liebevolle Herz ihrer Kindheit bewahren, und wie +sie andere kleine Kinder um sich versammeln und _deren_ Blicke neugierig +und gespannt machen werde mit manch einer wunderbaren Erzählung, +vielleicht sogar mit dem Traume vom Wunderlande aus alten Zeiten; und +wie sie alle ihre kleinen Sorgen nachfühlen, sich über alle ihre kleinen +Freuden mitfreuen werde in der Erinnerung an ihr eigenes Kindesleben und +die glücklichen Sommertage. diff --git a/Aufgabe 1/main.c b/Aufgabe 1/main.c new file mode 100644 index 0000000..c28ef79 --- /dev/null +++ b/Aufgabe 1/main.c @@ -0,0 +1,71 @@ +#include +//#include + +#define SIZEOFARR(a) (sizeof(a)/sizeof(a[0])) + +char allowedChars[] = "aäbcdefghijklmnoöpqrstuüvwxyzAÄBCDEFGHIJKLMNOÖPQRSTUÜVWXYZß \n"; + +unsigned short int arrContains(char checkForVal, char *checkInArr, int arrSize) +{ + for (int i = 0;i